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Blutklingen

Blutklingen

Titel: Blutklingen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Joe Abercrombie
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die gar keine Regenrinnen hatten, und von der Krempe von Lamms Hut, der schweigend und durchweicht auf dem Bock des Karrens saß. Er lief in elenden Tropfen von dem Schild, das unter einem aus schiefen Balken zusammengezimmerten Torbogen hing und verkündete, dass es sich bei der verbliebenen Handvoll Häuser um Averstock handelte. Er sickerte in die schlammbespritzte Haut der Ochsen, wobei Calder inzwischen aufgrund eines lahmen Hinterbeins heftig humpelte und Scale nicht viel besser dran war. Er tropfte auf die Pferde, die angebunden vor dem Schuppen standen, der hier als Taverne durchging. Auf drei unglückliche Pferde, deren Häute die Nässe dunkel gefärbt hatte.
    »Sind sie das?«, fragte Lief. »Sind das ihre Pferde?«
    »Das sind sie«, sagte Scheu, die sich in ihrem nassen Umhang so kalt und feucht fühlte wie eine begrabene Frau.
    »Was machen wir?« Leef versuchte, die Anspannung in seiner Stimme zu verbergen, was ihm jedoch nicht gelang.
    Lamm antwortete ihm nicht. Jedenfalls nicht sofort. Vielmehr lehnte er sich zu Scheu hinüber und sagte leise: »Stell dir mal vor, du hättest zwei Versprechen gegeben, aber um das eine zu erfüllen, müsstest du das andere brechen. Was würdest du tun?«
    Für Scheu war das eine ziemlich absonderliche Frage, jedenfalls angesichts dessen, was ihnen bevorstand. Sie zuckte die Achseln, und ihre Schultern rieben an dem nassen Stoff ihres Hemds. »Das Versprechen halten, das wichtiger ist, denk ich mal.«
    »Joh«, brummte Lamm und sah die aufgeweichte, schlammige Straße entlang. »Nur Blätter auf dem Wasser, wie? Man hat niemals eine Wahl.« Sie saßen noch eine Weile so da und wurden immer nasser, bis sich Lamm auf seinem Platz umdrehte. »Ich gehe als Erster rein. Ihr versorgt die Ochsen, und dann folgt ihr, aber ganz ruhig.« Er schwang sich vom Wagen, und der Matsch spritzte unter seinen Stiefeln auf. »Es sei denn, ihr wollt lieber hierbleiben. Wäre vielleicht das Beste.«
    »Ich werde meinen Teil beitragen«, gab Lief kurz angebunden zurück.
    »Weißt du auch, was dein Teil sein könnte? Hast du schon mal jemanden getötet?«
    »Du vielleicht?«
    »Kommt mir einfach nicht in die Quere.« Lamm war irgendwie anders. Nicht mehr so gebeugt. Größer. Riesenhaft. Regen tröpfelte auf die Schultern seines Umhangs, ein wenig Licht beschien eine Seite seiner starren Miene, die andere lag in der Dunkelheit. »Kommt mir nicht in die Quere. Das müsst ihr mir versprechen.«
    »In Ordnung«, sagte Lief, der Scheu einen seltsamen Blick zuwarf.
    »In Ordnung«, sagte Scheu.
    Es war komisch, dass Lamm so etwas sagte. Selbst unter den echten Lämmern, die jedes Frühjahr geboren wurden, gab es welche, die wilder und härter waren als er. Aber Männer können manchmal komisch sein, wenn es um ihren Stolz geht. Scheu hatte selbst nie allzu viel Wert auf Stolz gelegt. Wegen ihr konnte er gern sein Sprüchlein aufsagen, die Dinge zu richten versuchen und als Erster reingehen. So hatte das schließlich auch geklappt, als sie die Ernte verkauft hatten. Sollte er doch alle Augen auf sich ziehen, während sie hinter ihm hineinschlüpfte. Sie ließ das Messer in ihren Ärmel gleiten und sah dem alten Nordmann nach, wie er, mit ausgestreckten Armen um Gleichgewicht bemüht, über die aufgeweichte Straße stakste und versuchte, dabei keinen seiner Stiefel zu verlieren.
    Wenn Lamm gleich zögerte, dann würde sie tun können, was getan werden musste. Das hatte sie schließlich früher schon getan, aus weniger schwerwiegenden Gründen, und hatte dabei Männer erledigt, die es weniger verdient hatten. Sie überprüfte, ob ihr Messer wie vorgesehen schnell aus dem nassen Ärmel rutschen konnte, und das Klopfen ihres Herzens dröhnte in ihrem Schädel. Sie konnte es wieder tun. Musste es wieder tun.
    Die Taverne sah von außen wie ein heruntergekommener Schweinestall aus, und dieser Eindruck änderte sich kaum, wenn man über die Schwelle trat. Beinahe wünschte sich Scheu voller Sehnsucht in Stupfers Fleischladen zurück, eine Empfindung, die sie niemals erwartet hätte. Ein trauriges kleines Flammenzünglein zuckte in einer Feuerstelle, die rettungslos von schwarzem Ruß bedeckt war, und es herrschte ein säuerlicher Geruch nach Holzrauch, Feuchtigkeit und Körpern, die noch nie mit Seife in Berührung gekommen waren. Der Tresen bestand aus einer in der Mitte aufgequollenen Holzplatte voller Splitter, die von unzähligen Ellenbogen im Laufe der Jahre einigermaßen geglättet worden war.

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