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Blutköder

Blutköder

Titel: Blutköder Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Nevada Barr
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wenn sie das nächste Mal Blut und Fisch riechen, möglicherweise nicht so interessiert. Deshalb haben wir den Liebesduft, eine kleine Neuerung, um ihre Aufmerksamkeit wieder zu wecken. Wir haben mit Rizinusöl, dann mit Fenchelöl, Räucherschinken – ein echter Renner – und Kirschduft experimentiert. Jetzt, bei der letzten Fallenrunde, denn die Geschmacksnerven der Bären sind abgestumpft, kommt unser Meisterstück zum Einsatz: Stinktier.«
    Endlich ihres Rucksacks ledig, stand Joan auf und schüttelte jedes Körperteil – Füße, Beine, Hände, Arme und Torso – aus, als wolle sie ein Zauberkunststück vorführen. Nach Beendigung des Rituals wandte sie sich der Falle zu. »Der Liebesduft wird hoch oben aufgehängt, damit der Wind ihn verteilt – und damit der erste Bär ihn nicht herunterholt …« Sie hielt kurz inne. »Himmelkreuzdonnerwetter«, murmelte sie.
    Anna lachte. Diesen Ausdruck hatte sie noch nie bei jemandem gehört, sondern ihn nur ein paarmal bei alten Autoren gelesen.
    »Der hier hing eindeutig zu tief«, verkündete Joan. »Köpfe werden rollen. Schaut. Er ist weg.«
    Anna hätte Joan Rand zwar nicht für einen Menschen gehalten, der Köpfe rollen ließ, doch als sie ihr nun ins Gesicht sah, war sie überzeugt, dass es sich nicht um eine leere Drohung handelte. Offenbar duldete die reine Forschung keine Patzer. Anna nahm sich fest vor, sich bloß keinen Fehler zu erlauben.
    »Vielleicht ist ja ein Bär raufgeklettert und hat ihn sich geholt«, schlug Rory vor. Anscheinend spürte auch er die kalte Brise und wollte den Zorn von dem Pechvogel ablenken, der den Köder aufgehängt hatte.
    »Grizzlys klettern nicht auf Bäume«, widersprach Joan. »Wenigstens nicht die Alttiere. Die Jungen tun es manchmal. Allerdings hat dieser Baum einen zu geringen Durchmesser zum Klettern. Nein. Wenn der Köder richtig aufgehängt worden wäre, hätte ein Bär ihn nur mit einer fünf Meter langen Greifzange erwischen können.«
    »Wo kommt das andere Zeug hin?«, fragte Anna. »Das DNA mit?«
    Rory schnaubte.
    »Okay, okay«, sagte Joan. »Nennen wir es einfach Köder. Nun, dieser wundervolle Katzenminzeersatz für Bären wird auf einen Haufen morscher Holzstücke in der Mitte der Falle gegossen. Und wenn die Mitte wie hier ocupado ist« – sie wies auf einen eins zwanzig hohen Gesteinshaufen, der in dem dichten Gebüsch, das in der Einfriedung wucherte, kaum zu sehen war – »mindestens einen Meter fünfzig vom Draht entfernt. Schließlich wollen wir nicht, dass sie ihn erreichen, ohne sich zuerst darunter durchzuzwängen. Mit dem Köder warten wir bis ganz zum Schluss. Wenn wir ihn verteilen und davor in den Wind geraten, setzt sich der Gestank für immer in unseren Nasenhaaren fest. Schaut euch das an.« Joan stieß mit dem Fuß ein Stück der verstreuten Holzsplitter weg. »Sie liegen überall herum. Unsere Bären müssen eine wahre Orgie gefeiert haben.«
    Anna stand ein Gemälde mit dem Titel »Teddybärenpicknick« vor Augen: eine fröhliche Szene von Bären in menschlicher Haltung, die im Wald ein Picknick veranstalteten und menschlichen Vergnügungen frönten. Sie hatte das Bild immer als ein wenig verstörend empfunden. »Man hat mir erzählt, dass gehäutete Bären aussehen wie Menschen«, hörte sie sich sagen und fragte sich, woher dieser plötzliche Gedanke wohl gekommen war.
    Joan zögerte mit ihrer Antwort. Ihre sonst so klaren grünlichen Augen verengten sich und wurden für einen kurzen Moment lang trüb. Anna hatte das Gefühl, eine Grenze überschritten zu haben, wusste aber nicht, auf welche Weise.
    »Stimmt«, erwiderte Joan. »Es ist ziemlich beunruhigend, und ich sehe es mir nur an, wenn es sich nicht umgehen lässt.« Sie warf einen Blick auf Rory. Er hatte offenbar das Interesse an ihnen verloren und war damit beschäftigt, Energieflocken mit Wasser herunterzuspülen.
    Anna wurde klar, wo der Hund begraben lag. Joan hatte sie im Verdacht, dem jungen Van Slyke aus reinem Mutwillen Angst einjagen zu wollen. »Oh«, meinte sie und klappte den Mund zu, damit die Forscherin merkte, dass sie keine bösen Absichten hegte.
    Joan verteilte Latexhandschuhe, Umschläge und Stifte aus ihrem Rucksack. Anna und Rory erhielten den Auftrag, die Haare einzusammeln, während Joan Proben von den vielen Kothaufen nahm, die die verzückten Bären für sie hinterlassen hatten.
    Der Draht wies etwa alle dreißig Zentimeter einen Stachel auf. Mit behandschuhter Hand, um die Proben nicht zu verunreinigen,

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