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Blutköder

Blutköder

Titel: Blutköder Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Nevada Barr
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pflückte Anna vorsichtig das Fell von den Stacheln und verstaute es in separaten kleinen Umschlägen, die Rory dann versiegelte und auf der Rückseite mit dem Datum und dem Standort der Falle beschriftete. Anschließend wurde der Draht mit einem Desinfektionsmittel auf Alkoholbasis gereinigt, um zurückgebliebene Hautfetzen und Haarzellen zu entfernen. Danach wurde die Prozedur beim nächsten Stachel wiederholt. Wenn alles eingesammelt war, würden sie den Draht einrollen und verpacken, um ihn für eine andere Falle wiederzuverwenden.
    Die Falle, mit der sie gerade beschäftigt waren, war ungewöhnlich gut besucht gewesen. Fast an jedem verrosteten Stachel hing ein Fellbüschel. Es war eine eintönige Arbeit. Der Boden war sehr uneben, und die Bremsen waren eine Qual. Dennoch war Anna lieber hier als in ihrem gesichtslosen, klimatisierten Streifenwagen, wo sie nun schon seit zu vielen Monaten ihre Tage verbrachte.
    »Du stellst dich sehr geschickt an«, meinte sie zu Rory, weil sie in großzügiger Stimmung war. Außerdem entsprach es den Tatsachen.
    Obwohl Mutter Natur mit einigen Ärgernissen aufwartete, ging Rory mit einer Ruhe und Sorgfalt zu Werke, die Anna bei einem Jungen seines Alters bemerkenswert fand. Die Geduld, die er bei dieser Genauigkeit erfordernden und mühseligen Aufgabe an den Tag legte, wäre bei jedem Menschen, ganz gleich welchen Alters, zu bewundern gewesen.
    »Mein Dad … Les«, verbesserte er sich – oder bestrafte seinen Vater, »und ich haben zusammen Modellflugzeuge gebastelt, als ich in der Grundschule war. Als er noch etwas getan hat.«
    »Als er noch etwas getan hat? Was tut er denn jetzt?«, fragte Anna, bereit, sofort das Thema zu wechseln, falls eine rührende Geschichte über Behinderungen oder eine lebensbedrohliche Krankheit herauskommen sollte. Sie hatte keine Lust, Rory so gut kennenzulernen.
    Rorys struppiges blondes Haar, noch nicht so verschwitzt wie das von Anna, rutschte unter dem Schirm seiner Baseballkappe hervor. Als er es zurückschob, fiel ihr auf, dass er kleine, zartknochige Hände hatte. Sicher war er häufig gezwungen zu beweisen, dass er keine Memme und kein Waschlappen war. Sein Schweigen konnte durchaus ein Versuch sein, den harten Mann zu mimen. »Les ist ein Erbsenzähler in untergeordneter Position«, entgegnete er mit einem gehässigen Grinsen, das ihm gar nicht gut zu Gesicht stand.
    Vorsichtig, um bloß keines zu verlieren, wischte Anna drei Haare von einem behandschuhten Finger in den Umschlag, den er für sie offen hielt. »Erbsenzähler in untergeordneter Position« klang wie ein Zitat, und Anna fragte sich, wer Rorys Vater wohl so genannt haben mochte und warum der Junge die abfällige Bemerkung übernommen hatte.
    »Und was macht deine Mom beruflich?«, erkundigte sie sich, in der Hoffnung auf ein wenig mehr Begeisterung, damit die Zeit schneller vorbeiging.
    »Mom ist cool«, erwiderte Rory, während sie sich einen halben Meter weiter zum nächsten Drahtabschnitt schleppten. »Sie ist Anwältin.«
    »Strafverteidigerin?«
    »Scheidungsrecht. Wir wohnen in Seattle. Carolyn ist meine Stiefmutter. Meine leibliche Mutter ist gestorben, als ich fünf war. Ein paar Jahre später hat Dad Carolyn geheiratet. Sie lässt sich von niemandem irgendwelchen Mist gefallen.«
    Das meinte Rory eindeutig als großes Lob. Anna wurde klar, dass es für ihn sehr wichtig war, sich nichts gefallen zu lassen. Bei einem Achtzehnjährigen war das kein gutes Zeichen. Wer sich »nichts gefallen ließ«, neigte Annas Erfahrung nach dazu, Charakterfehler wie Ungeduld, Intoleranz und mangelndes Selbstbewusstsein für positive Eigenschaften zu halten. Ein Polizist, der nach diesem Motto handelte, war in seinem Beruf fehl am Platz oder zumindest nur zweite Wahl.
    »Apropos Mist …« Joan näherte sich von hinten. »Ich habe vier ausgezeichnete Proben gefunden. Schaut euch die da mal an.« Da sie die Röhrchen bereits im gepolsterten Transportbehälter verstaut hatte, vermutete Anna, dass sie sie zum Fundort begleiten sollten. In einer fließenden Bewegung stand Rory auf. Anna wuchtete sich mühsam hoch. Die Aussicht, sich in dieser Bullenhitze körperlich zu bewegen, begeisterte sie nicht sehr.
    Joan kauerte auf den Fersen. Rory hatte neben ihr die gleiche Stellung eingenommen. Anna, die nicht mehr als unbedingt nötig mit der Schwerkraft spielen wollte, blieb lieber stehen.
    »Seht nur«, sagte Joan. »Dieser Bär hat etwas gefressen, das nicht gut für ihn war.« Sie

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