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Blutköder

Blutköder

Titel: Blutköder Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Nevada Barr
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häufig – und verbotenerweise – ihre Gärten, indem sie auf dem Parkgelände seltene oder einfach nur hübsche Pflanzen ausgruben. Weshalb jemand dafür einen so weiten Weg zurücklegte und sich die Mühe machte, seine Beute im Rucksack nach Hause zu schleppen, war indes ein Geheimnis. Schließlich gab es unweit der Going to the Sun Road genügend Stellen, wo ein einigermaßen geschickter Dieb so viele Lilien stehlen und im Kofferraum seines wartenden Autos verstauen konnte, wie er wollte.
    »Die Leute sind eben mies«, seufzte Anna schicksalsergeben.
    »Die Leute wissen es nicht besser«, nahm Joan die Touristen in Schutz.
    »Es ist doch nur Unkraut«, wandte Van Slyke ein und verstand nicht, warum beide Frauen ihn mit tadelnden Blicken bedachten.
    »Den Vortrag kriegst du heute Abend nach dem Essen«, warnte ihn Joan. »Lass ihn dir bloß nicht entgehen.«
    Per Funk gab sie der Zentrale Ort und Ausmaß des Schadens durch, damit die Informationen an die Polizei weitergemeldet werden konnten. Anna überlegte, ob sie Joan auffordern sollte, auch die Personenbeschreibung des jungen Mannes zu erwähnen, dem sie begegnet waren. Doch sie verkniff es sich. Die Straftat war nicht schwer genug für umfangreiche Ermittlungen. Außerdem war der Junge mit dem reizenden Lächeln Joan sympathisch gewesen. Zu Beginn des Jahres, Anna hatte gerade im Natchez-Trail-Nationalpark angefangen, hatte sie in einem Fall von Kindesmord ermittelt. Eigentlich war das Opfer mit seinen sechzehn Jahren eher ein junges Mädchen gewesen. Seit dieser Erfahrung war ihr die Lust vergangen, die Welt, warum auch immer, in den düstersten Farben zu sehen.
    Da das Feuer sämtliche Bäume vernichtet hatte, konnte man keinen Draht spannen und die Falle deshalb nicht an der eingezeichneten Stelle aufbauen. Joan entdeckte eine annehmbare Ausweichmöglichkeit ganz in der Nähe. Am Treffpunkt von drei Wildpfaden, die Schneisen in die verwüstete Landschaft schlugen und sicher von Bären genutzt wurden, befestigten sie ihren Draht an den Stümpfen einiger Weißfichten und den Ästen einer Erle.
    Ein hoher Baumstumpf, so dürr und verkrüppelt wie der Fingerknochen einer Mumie, ragte am Rand der Einfriedung aus dem Boden. So vorsichtig, als hantiere sie mit Nitroglyzerin, nahm Joan eine der Filmdosen mit dem Stinktierköder aus dem Schraubdeckelglas und durchlöcherte das Hartplastik mit einem Eispickel, damit der Liebesduft seinen Charme spielen lassen konnte.
    Während sie den Köder aufhängte, sammelten Anna und Rory auf dem noch grünen Abhang der Schlucht Bruchholz. Als sie einen Haufen von einem guten halben Meter Höhe und etwa dem doppelten Durchmesser beisammenhatten, kam der Augenblick der Wahrheit.
    Rory, der sich unbedingt auf dem Schlachtfeld des Ekels bewähren wollte, erbot sich freiwillig, die ehrenvolle Aufgabe zu übernehmen. Beobachtet von Anna und Joan, öffnete er die Literflasche und goss den Blutköder, eine zähflüssige, dunkle Masse, über das Holz. Aus reinem Selbstschutz hatte Anna vergessen, wie unbeschreiblich stark und gnadenlos widerwärtig der Geruch war. Die Hersteller von Stinkbomben hätten einiges von Bärenforschern lernen können.
    Nachdem die Falle fertig war, machten sie sich so schnell wie möglich aus dem Staub. Rory ging dicht hinter Anna her. Joan marschierte voran, weil sie als Einzige das Ziel kannte.
    »Ich glaube, ich habe etwas davon an die Hände gekriegt«, stellte Rory fest.
    »Oh, Mist«, erwiderte Anna, ohne eine Spur von Mitleid. »Bleib bloß weg von mir.«
    »Nein, im Ernst. Ich glaube ich habe das Zeug an mir.«
    Diesmal hörte Anna Panik aus seinem Tonfall heraus und blieb stehen.
    Rorys jungenhaftes Gesicht war angespannt vor Angst. Seine Augen waren unnatürlich geweitet, sodass Anna eine schmale weiße Linie zwischen Pupillen und unterem Lidrand erkennen konnte. Obwohl sie einen Heidenspaß daran hatte, junge Leute zu hänseln, durfte man Furcht, echte Furcht, nicht auf die leichte Schulter nehmen. »Das belastet dich wirklich, richtig?«
    Er hielt neben ihr an, umklammerte die Schulterriemen seines Rucksacks, damit seine Hände zu zittern aufhörten, und ließ plötzlich wieder los, als habe er Angst, auch noch seine Ausrüstung zu verseuchen. »Nicht so schlimm«, sagte er, denn offenbar war sein Bedürfnis, sich nichts anmerken zu lassen, so groß wie die Furcht selbst. »Ich dachte nur, wenn ich den Geruch an mir habe … nun, du weißt schon.«
    Anna überlegte, wie sie mit Rorys

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