Blutköder
ausgelöscht worden wäre.
»Mr McCaskil hat es mir selbst erzählt«, fuhr Geoffrey fort. »Er hat gesagt, ich könnte Balthazars Kopf ja besuchen, wenn er bei jemandem an der Wand hängt. Das hat er wortwörtlich so gesagt. Da habe ich Balthazar mitgenommen. Ich habe Ihnen von unterwegs geschrieben«, wandte er sich an Joan. »Bei meinen Sachen habe ich auch einen Laptop und ein Mobiltelefon.«
»Tut der Bär, Balthazar, alles, was du willst?« Rory ergriff zum ersten Mal das Wort. Anna hielt sich die Hand vor den Mund, um ein Schmunzeln zu verbergen. Rorys Tonfall war der Neid deutlich anzuhören. Welcher Junge, ja, welcher Mensch ganz gleich wie alt und ob männlich oder weiblich, wünschte sich kein sechshundert Kilo schweres Raubtier als Freund und Beschützer?
»Mehr oder weniger«, antwortete Geoffrey. »Mein Dad war Mr Fettermans Dompteur. Sie haben Balthazar angeschafft, als er noch ganz klein und ich ungefähr sieben war. Wir sind zusammen aufgewachsen, und ich habe Dad geholfen, ihn zu trainieren. Wir sind auch gemeinsam aufgetreten. Den Leuten hat die Nummer mit dem Bären und dem kleinen Jungen gefallen. Nach Dads Tod hat Mr Fetterman mich bei sich behalten. Ich habe im ehemaligen Nähzimmer seiner Frau gewohnt – Mrs Fetterman war etwa ein Jahr vor Dad gestorben. Und so habe ich mich weiter um Balthazar gekümmert. Er ist abgerichtet, aber er ist kein Haustier«, warnte er. Anna bemerkte, dass sein strenger Blick nicht nur Rory, sondern auch ihr galt. »Er ist ein wildes Tier, und die haben ihre eigenen Regeln, gegen die man nicht verstoßen kann. Man darf Balthazar nicht erschrecken, ihm wehtun oder ihn hänseln. Das versteht er nicht. Deshalb hasst er Mr McCaskil auch so. Wenn er ihn riecht, weiß er, dass gleich wieder etwas Unangenehmes passiert, und verhält sich, wie es ein Bär eben tut, um sich zu verteidigen.«
»Eine gottverdammte Gefahr für die Menschheit«, knurrte McCaskil.
Als Balthazar zurückknurrte, verstummte er schlagartig.
»Wie sagst du ihm, was er tun soll?«, erkundigte sich Rory.
»Da gibt es verschiedene Methoden. Er gehorcht einigen mündlichen Befehlen. Wenn man pfeift, setzt er sich oder stellt sich tot. Ein paar Tricks hat er sich selbst beigebracht und führt sie zum Spaß vor, wenn er gute Laune hat. Außerdem jongliert er gern mit Tannenzapfen – oder besser, er wirft sie hin und her. Manchmal fängt er einfach an zu tanzen, auch wenn da gar keine Musik ist.«
»Ich glaube, ich werde in Zukunft die absurden Berichte gründlicher lesen«, merkte Joan an. Anna lachte.
»Für die Show hat Dad ihm beigebracht, zu knurren, sich aufzurichten und anzugreifen, indem er mit Holzstücken verschiedene Rhythmen geklopft hat. Er hat Holz genommen, weil es ein natürliches Geräusch erzeugt und echter wirkt.«
»Wir haben eines deiner Klopfhölzer gefunden«, meinte Anna. »Nach der Nacht, in der du und Balthazar unser Lager verwüstet habt.«
Geoffrey wandte den Blick ab und starrte auf die Taschenlampe, die zwischen ihnen stand. »Das tut mir leid. Ich wollte einfach nur, dass Sie verschwinden. Balthazar ist in eine Art Falle geraten. Bäume mit Draht darum herum. Ich habe eine Viertelstunde gebraucht, ihn da wieder rauszulocken. Er hatte ein kleines Ding, das nach Kirschbonbons roch, in einem Baum gefunden und wollte nicht mehr aufhören, damit zu spielen. Ich dachte, das wäre eine der Fallen, von denen Sie mir an dem Tag, als wir uns begegnet sind, erzählt haben. Deshalb hatte ich Angst, Sie könnten mir auf die Schliche kommen.«
»Aha«, sagte Joan. »Und ich habe dem letzten Team die Hammelbeine lang gezogen, weil sie den Liebesduft nicht hoch genug aufgehängt hatten. Wer hätte das wissen können?« Sie lächelte.
»Ich wollte Balthazar beibringen, in dieser Gegend nach Lilien zu graben«, fuhr Geoffrey fort. »Wir haben es auch an anderen Stellen versucht, doch da waren Bären, und die haben ihm Angst gemacht. Ich habe geglaubt, wenn wir Ihr Lager verwüsten, könnten wir Sie damit verscheuchen.«
Joan streckte die Hand aus. Aber offenbar war sie zu klug, um Geoffrey zu berühren, denn sie hielt auf halbem Wege inne. »Es ist unmöglich, Wissenschaftler zu verscheuchen, indem man ihnen mitteilt, dass sich eines ihrer Forschungsobjekte ganz in der Nähe aufhält«, stellte sie fest.
»Das wusste ich damals noch nicht.«
Joan kochte noch mehr Wasser, und weitere Heißgetränke wurden zubereitet. Aus Pflichtgefühl machte Anna eine Tasse Kakao für
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