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Blutkrieg

Blutkrieg

Titel: Blutkrieg Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Wolfgang Hohlbein
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in Wahrheit erst wenige Tage vergangen
sein konnten, seit es Abu Dun und ihn an die Küste dieser
feindseligen, nur aus schwarzem Fels und weißem Eis
bestehenden Inseln verschlagen hatte, und doch kam es ihm
manchmal vor, als wanderten sie nun schon seit Ewigkeiten
durch eine Welt, die in ihrer Ödnis und Kälte selbst die Götter
verschreckte. Er schüttelte den Gedanken ab und konzentrierte
sich mit einiger Mühe wieder. Nichts war wichtiger als das Hier
und Jetzt, denn es ging um nichts Geringeres als Abu Duns
Leben. »Bist du sicher?«, wandte er sich an seinen Begleiter.
    Fjalar würdigte ihn zwar eines beleidigten Blickes, aber keiner
Antwort. Er zog die Kapuze seines schmuddeligen Mantels tiefer in
die Stirn, dann schlurfte er weiter. Andrej folgte ihm einen Moment
lang mit Blicken, bevor auch er sich in Bewegung setzte und dabei
die Füße sorgsam in die schlampigen Abdrücke setzte, die der
Zwerg im Schnee hinterlassen hatte. Etwas in ihm scheute sich
instinktiv davor, in diesem Land, das nur dem Wind und der Kälte
gehörte, auch nur die allermindeste Veränderung zu hinterlassen.
    Andrej dachte diesen Gedanken ganz bewusst, denn es war
rein gar nichts Komisches oder Absurdes daran. Auch das war
etwas, was er in zunehmendem Maße – und mit zunehmender
Sorge – an sich selbst beobachtete: Seine Gedanken begannen
sich auf Pfaden zu bewegen, die ihn erschreckten, und während
sie immer verworrener und abstruser wurden, nahmen sie
zugleich an Wahrhaftigkeit zu. Das machte ihm Angst.
Vielleicht galten in diesem öden Fleckchen Land hinter dem
Ende der Welt ja nicht nur die Regeln der Zeit nicht mehr,
sondern auch die der Logik, und vielleicht waren die Dinge hier
einfach … anders. Nicht zum ersten Mal glaubte er noch einmal
das zu hören, was Abu Dun gleich nach ihrer Ankunft gesagt
hatte: Vielleicht sind wir tot, und das ist die Hölle. Damals hatte
Andrej darüber gelacht, jetzt kamen ihm die Worte des Nubiers
mehr und mehr wie eine düstere Prophezeiung vor.
    Er verjagte auch diesen Gedanken und beeilte sich nun, zu
seinem kleinwüchsigen Führer aufzuschließen, obwohl in der
flachen Einöde, die sie umgab, kaum die Gefahr bestand, ihn aus
den Augen zu verlieren.
    »Wie weit ist es noch?«, fragte er, um das bedrückende
Schweigen zu durchbrechen, das nur seinen düsteren Gedanken
neue Nahrung gab. Im nächsten Augenblick bedauerte er die
Frage schon zutiefst, denn sie durchbrach den Faden seiner
Gedanken, die sich um Fjalar, seinen Führer, drehten. Nun glitt
eine Ahnung zurück in die Tiefen seines Unterbewusstseins, von
der er doch wusste, dass sie bedeutungsvoll war, und er vergaß,
was er nicht hatte vergessen wollen. Doch es war zu spät.
    »Nicht mehr weit«, sagte der Gnom, wandte im Gehen den
Kopf und warf Andrej einen schrägen Blick unter seiner Kapuze
hervor zu, bei dem sich sein Gesicht in noch mehr Falten und
Runzeln legte. Fjalar – Fjalar, der Späher, darauf legte der
kindergroße Zwerg Wert – war der mit Abstand hässlichste
Bursche, dem Andrej jemals begegnet zwar. Andrej argwöhnte,
dass er sich seiner Hässlichkeit bewusst war, denn der Zwerg
trug seinen schwarzen Mantel auch im Haus, und selbst dort
hatte er die Kapuze meist hochgeschlagen und weit in die Stirn
gezogen.
    Unglückseligerweise war Fjalar aber nicht nur der hässlichste
Mensch, dem Abu Dun und er bisher auf dieser Insel begegnet
waren, sondern auch der einzige.
    Woher der Zwerg kam, was seine Wünsche und Absichten
waren und wovon er lebte, das wussten sie nicht. Andrej hatte
ein paarmal versucht, ihn besser kennenzulernen, und Fragen
gestellt, denen Fjalar entweder ausgewichen war oder die er
einfach ignoriert hatte. Schließlich hatte Andrej es aufgegeben;
letzten Endes zählte nur, dass er versprochen hatte, ihnen zu
helfen.
    »Wenn du nicht dauernd stehen bleiben und neugierige Fragen
stellen würdest, kämen wir wahrscheinlich besser voran«, fuhr
der Gnom fort.
    »Oder wenn du schneller gehen würdest«, knurrte Andrej – ein
weiterer Fehler, wie ihm sehr wohl bewusst war. Wenn es etwas
gab, was die Hässlichkeit des Zwerges noch übertraf, so waren
es zweifellos sein rechthaberisches Wesen und seine
Schwatzhaftigkeit. Andrej kannte den Zwerg jetzt seit fünf oder
sechs Stunden, und er hatte in dieser Zeit nahezu
ununterbrochen geredet.
    »Du hast gut reden, Langer«, antwortete Fjalar schnippisch.
»Hätte ich Beine wie du, wäre ich auch schneller – so

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