Blutkrieg
doch ging irgendetwas
… Sonderbares von den Steinen aus. Trotz der Kälte und der
unendlichen Einöde aus Eis und tanzendem Schnee, die den
steinernen Turm umgab, so weit der Blick nur reichte, gab es auf
diesen Felsen kein Eis. Nicht das winzigste Fleckchen Eis hatte
sich in die unzähligen Ritzen und Spalten des granitenen Riesen
gekrallt, nicht einer seiner Vorsprünge und Überhänge hatte dem
Schnee, den der Wind in unzähligen tanzenden Schwaden vor
sich hertrieb, Halt gegeben. Doch das war nur das Sichtbare. Da
war noch mehr. Etwas wie eine andere, viel schlimmer Kälte,
die von der mächtigen Flanke des verwitterten Felsenpfeilers
ausging. Andrej hatte plötzlich das Bedürfnis wegzulaufen.
»Wir sind da«, sagte Fjalar überflüssigerweise. Andrej hatte
den Zwerg für einen Moment vollkommen vergessen. Nun hob
er ihn unsanft von den Schultern und setzte ihn so grob zu
Boden, dass der Kleinwüchsige einen ungeschickt stolpernden
Schritt nach hinten machte und beinahe gestürzt wäre, worauf er
mit einer wahren Schimpfkanonade und einer Flut von
Verwünschungen reagierte, bei denen vielleicht sogar Abu Dun
rote Ohren bekommen hätte.
»Das sehe ich«, antwortete Andrej mit einiger Verspätung auf
die Worte des Spähers. »Und jetzt?«
Fjalar starrte feindselig zu ihm hoch und klopfte sich nicht
vorhandenen Schnee und Staub von seinem Mantel.
Andrej machte einen weiteren – zögerlichen – Schritt auf den
Felsen zu und streckte die Hand aus. Der Stein war rau und hart,
wie er erwartet hatte, aber er fühlte sich auch warm an; nicht wie
ein Fels, der seit Anbeginn der Zeit dem Wüten eines Eissturmes
trotzt, sondern wie der warme Sandstein aus Abu Duns Heimat,
den für ebenso lange Zeit das Licht der Sonne umschmeichelt
hatte.
Vielleicht, dachte Andrej nervös, war das ja schon die
Erklärung. Aus irgendeinem Grund war dieser Felsen warm;
vielleicht reichte er bis tief hinunter in die Erde und wuchs
direkt aus dem heißen Wasser empor, das sich überall in Form
von sprudelnden Geysiren und heißen Quellen seinen Weg an
die Oberfläche gegraben hatte. Möglich war aber auch eine ganz
andere Erklärung. Vielleicht sind wir tot, und das hier ist die
Hölle, flüsterte Abu Duns Stimme irgendwo in seinen
Gedanken.
»Wo ist jetzt deine Hexe?«, wandte er sich an den Zwerg,
während er beinahe hastig die Hand wieder zurückzog.
»Es ist nicht meine Hexe«, giftete Fjalar. »Und sie hat uns
schon bemerkt, mein Wort darauf. Wenn sie mit uns reden will,
dann wird sie kommen.«
»Wenn?«, wiederholte Andrej misstrauisch. »Was soll das
heißen? Du hast mir versprochen -«
»- dass ich dich zu ihr bringe, mehr nicht«, fiel ihm Fjalar ins
Wort. Er reckte kampflustig das Kinn vor. »Und das habe ich
getan, oder etwa nicht?«
»Du hast mich zu einem öden Felsen am Ende der Welt
gebracht«, stellte Andrej Fjalars Behauptung richtig. »Ich sehe
hier keine Hexe.«
Fjalar setzte zu einer patzigen Antwort an, doch in diesem
Moment hörte Andrej ein Geräusch hinter sich, fuhr alarmiert
herum und legte in der gleichen Bewegung die Hand auf den
Schwertgriff. Dann riss er erstaunt die Augen auf.
Sie waren nicht mehr allein. In dem gerade noch so massiv
erscheinenden Felsen hatte sich eine Öffnung aufgetan, und
unter dieser lautlos entstandenen Tür war eine Gestalt
erschienen, die Fjalar auf den ersten Blick so verblüffend
ähnlich sah, dass sich Andrej fragte, ob es dem Gnom vielleicht
gelungen sein mochte, sich hinter ihn zu schleichen, um ihn auf
diese Weise zu foppen. Dann jedoch sah er genauer hin und
begriff nicht nur seinen Irrtum, sondern entschuldigte sich auch
in Gedanken bei seinem Gegenüber für seine Vermutung.
Vor ihm stand kein hässlicher Gnom, sondern eine Frau. Sie
war nicht sehr viel größer als Fjalar, dafür aber um etliches
schlanker, und die vermeintliche Ähnlichkeit rührte wohl nur
von ihrem schwarzen Mantel her, der tatsächlich an den des
Zwerges erinnerte, auch wenn er sich in einem viel besseren
Zustand befand. Das Gesicht der Frau – sonderbarerweise war
es ihm nicht möglich, ihr Alter zu schätzen – war nicht
unbedingt das einer Schönheit, aber attraktiv. Die dunklen
Augen, die Andrej aufmerksam, wohl auch ein bisschen
vorsichtig, aber ohne die geringste Falschheit musterten,
verrieten einen wachen Geist.
Einen Moment lang stand sie reglos da und betrachtete Andrej
ebenso neugierig wie er umgekehrt sie, dann fragte sie: »Eine
Weitere Kostenlose Bücher