Blutkrieg
bauchigen Tonkrug, der mit einem schmutzigen
Lappen verschlossen war. »Hier!«, sagte Ansen, während er
Andrej den Krug mit einer lockeren Bewegung aus dem
Handgelenk heraus zuwarf. »Ein kräftiger Schluck wird euch
guttun.«
Andrej fing den Krug ganz instinktiv auf, drehte ihn aber ein
paarmal in den Händen und sah Ansen dann fragend an. Abu
Dun verzog keine Mine.
»Trinkt!«, forderte ihn der Kapitän noch einmal auf. »Es ist
der beste Met, den wir an Bord haben. Nebenbei gesagt, auch
der letzte, verschwendet ihn also nicht, sondern stärkt euch. Vor
allem, weil ihr eure Kräfte noch brauchen werdet.«
»Wofür?«, erkundigte sich Abu Dun.
Ansen deutete mit der Hand auf den Schatten am Horizont.
»Wir haben unser Ziel fast erreicht«, sagte er. »Sobald die
Sonne untergegangen ist, fahren wir weiter.«
Andrej und Abu Dun tauschten einen verwirrten Blick.
»Warum erst dann?«, fragte Andrej schließlich.
Ansen antwortete nicht gleich, sondern trat einen Schritt
zurück und suchte den Himmel mit Blicken ab. »Ein Unwetter
zieht auf«, behauptete er dann – obwohl im Firmament über
ihnen nichts darauf hindeutete. Es begann sich grau zu färben,
da die Dämmerung nicht mehr weit entfernt war, aber es war
nicht eine einzige Wolke zu sehen, das Meer lag so glatt da wie
ein Spiegel, und das Segel hing schlaff vom Mast.
Dennoch fuhr Ansen fort: »Diese Gewässer sind tückisch. Es
gibt Riffe, die unter Wasser lauern und selbst einem tapferen
Boot wie der Fenrir gefährlich werden können. Besser, wir
warten das Unwetter ab und rudern danach weiter.« Er machte
eine auffordernde Geste mit der Hand. »Jetzt trinkt. Stärkt euch
und ruht euch aus. Ich gebe euch Bescheid, sobald es
weitergeht.«
Einen Moment lang schien es, als warte er auf eine Antwort,
doch als er begriff, dass Andrej und Abu Dun ihm den Gefallen
nicht tun würden, zuckte er mit den Schultern, machte ein
beleidigtes Gesicht und wandte sich dann mit einem Ruck ab,
um zu den anderen zurückzugehen.
Abu Dun sah ihm nach, bis er unter der Zeltplane
verschwunden war, dann maß er erst den Krug in Andrejs
Händen, dann den wolkenlosen, blaugrauen Himmel über ihnen
mit einem langen, aufmerksamen Blick. Schließlich schüttelte er
den Kopf und sagte: »Was für ein Unsinn!«
Tatsächlich begann sich der Himmel mit bauchigen
Regenwolken zuzuziehen, noch bevor die Sonne untergegangen
war. Der Sturm, den Ansen vorausgesagt hatte, ließ auf sich
warten, doch der Wind nahm schnell zu, und das Segel hing jetzt
nicht mehr schlaff und traurig vom Mast, sondern bewegte sich
träge und mit gleichmäßigem, schwerem Flappen. Kaum dass
die Sonne als lodernd roter Ball den Horizont in Brand gesetzt
hatte, tauchten auch schon Ansens Männer – zu Andrejs
Überraschung sogar noch einigermaßen nüchtern – wieder aus
dem Zelt auf und nahmen auf den Ruderbänken Platz.
Ohne dass es eines Befehles ihres Kapitäns bedurft hätte,
griffen sie nach den Riemen, und auch Andrej und Abu Dun
beeilten sich, dasselbe zu tun. Die Fenrir setzte sich in
Bewegung und nahm rasch Fahrt auf, sodass sie sich der Küste
tatsächlich in beträchtlichem Maße genähert hatten, bevor es
dunkel wurde.
Was Andrej im jetzt rasch verlöschenden Licht des Tages sah,
war nicht das, was er erwartet hatte, und es war ein sonderbarer,
zugleich aber auch faszinierender Anblick. Es gab weder einen
Strand noch eine Steilküste, sondern eine fremdartig anmutende
Mischung aus beidem; das Land türmte sich unweit der Küste zu
schroffen, schrundigen Bergen auf.
Dennoch war der Anblick ein Labsal für ihre Augen, denn die
Bergkette war nicht grau oder schwarz oder von Eis und Schnee
bedeckt, sondern grün. Saftige Wiesen, wogende Ozeane aus
Buschwerk und dichten Wäldern bedeckten die Flanken des
Gebirges, und das Meer hatte viele Zungen tief ins Land
hineingegraben, sodass die Küstenlinie keine Linie war, sondern
ein steinerner Palisadenzaun mit unzähligen Löchern, die dem
Meer Zutritt zu dem dahinterliegenden Land gewährten.
Der Strand selbst – wenn es denn ein solcher war – war schmal
und schien zum größten Teil aus Geröll und Schutt zu bestehen,
nicht aus Sand, und als Andrej die regelmäßige Linie aus
tanzendem weißen Schaum sah, die der Küste vorgelagert war,
dachte er besser über ihren Kapitän. Zumindest die Riffe, von
denen er gesprochen hatte, existierten wirklich.
Im gleichen Maße, in dem die Sonne im Meer versank und die
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