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Blutkrieg

Blutkrieg

Titel: Blutkrieg Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Wolfgang Hohlbein
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etliche, von denen er nicht
einmal gewusst hatte, dass es sie gab) war verkrampft und
schmerzte. Wäre er ein normaler sterblicher Mensch mit einem
normalen sterblichen Körper gewesen, hätte er nicht einmal den
ersten Tag ihrer Reise überstanden.
    Dafür hätten wahrscheinlich allein die Rationen gereicht, die
ihnen Ansen zugestanden und bei deren Anblick er bedauert
hatte, das Essen im Gasthaus abgelehnt zu haben. Und wenn das
Essen es nicht geschafft hätte, ihn zum Aufgeben zu zwingen,
dann das betäubende schnapsstarke Bier, das der Nordmann und
sein Dutzend als Wikinger verkleideter Begleiter gleich
fässerweise in sich hineinschütteten.
    Doch die Schinderei hatte sich am Ende gelohnt. Qualvollen
Ruderschlag auf qualvollen Ruderschlag hatten sie die Fenrir weiter nach Süden getrieben, und schon nach einem Tag hatte
Andrej etwas erlebt, von dem er kaum noch geglaubt hatte, dass
es tatsächlich existierte: einen Sonnenuntergang. Einer
wundervollen dunklen Nacht, einem nahezu perfekt gerundeten
Mond und einem sternenübersäten Himmel war ein noch viel
grandioseres Schauspiel gefolgt – ein Sonnenaufgang –, und
nun, endlich, war ein dünner, staubgrauer Strich auf dem
Horizont erschienen. Land.
    »Habe ich schon erwähnt, dass ich die Seefahrt hasse?«,
murmelte Andrej, während er sich erschöpft über das Ruder
sinken ließ und die Stirn auf dem vom Salzwasser und Alter
zerfressenen Holz bettete. Ansen, der in die falsche Zeit
hineingeboren und seinen Beruf verfehlt zu haben schien, da er
viel eher zum Sklaventreiber auf einer römischen Galeere
getaugt hätte als zu einem Seemann, hatte vor wenigen
Augenblicken den Befehl gegeben, die Ruder einzuholen.
Andrej erschien dieser Befehl wenig sinnvoll – jetzt, wo das Ziel
ihrer Reise endlich in Sichtweite und höchstens noch eine
Stunde entfernt war –, doch im Moment zog er es vor, den
unbeschreiblichen Luxus zu genießen, wenigstens für einen
kurzen Moment nicht rudern zu müssen.
    »Während der letzten fünf Minuten?« Abu Dun schüttelte den
Kopf. »Davor, ja – das ein oder andere Mal.«
Andrej hätte ihm liebend gern eine Grimasse geschnitten, doch
dazu hätte er den Kopf vom Ruder heben müssen, was viel zu
anstrengend gewesen wäre, und so tat er es nur in Gedanken.
»Dieser Ansen ist ein Ungeheuer«, murmelte er. »Ich glaube,
er hat uns nur mitgenommen, um herauszufinden, wie lange es
dauert, bis man einen Menschen zu Tode geschunden hat.«
»Ja, wahrscheinlich«, antwortete Abu Dun, und das in einem
Ton, der Andrej nun doch den Kopf heben und ihn anblicken
ließ. Der Nubier wirkte ebenso erschöpft und übermüdet wie er.
Dass er gut dreimal so stark wie Andrej war, hatte ihm auf
dieser Reise nicht viel genutzt, denn Ansen hatte ihm gleich
viermal so viel Arbeit aufgetragen. Er hatte, kaum dass sie in
See gestochen waren, keinen Zweifel daran gelassen, dass
seinen beiden Passagieren nur eine einzige Wahl blieb –
entweder zu rudern oder über Bord zu springen und den Rest der
Strecke schwimmend zurückzulegen.
Vermutlich, dachte Andrej, hatte sich Abu Dun während der
zurückliegenden drei Tage in Gedanken vornehmlich damit
beschäftigt, sich die unterschiedlichsten Methoden auszudenken,
mit denen er den blonden Riesen auf die unerquicklichste Art
vom Leben zum Tode befördert konnte. Ihm jedenfalls hatte
diese Vorstellung mehr als einmal dabei geholfen, doch ein
wenig länger durchzuhalten, wenn er wieder an dem Punkt
angelangt war, nicht weiterzukönnen. Aber da war etwas in Abu
Duns Worten, das Andrej aufhorchen ließ.
Der Nubier warf einen raschen Blick nach rechts und links, um
sich davon zu überzeugen, dass sich weder Ansen noch einer
seiner Begleiter in Hörweite aufhielt, bevor er weitersprach. Die
Vorsicht wäre nicht nötig gewesen. Andrej verstand zwar nicht,
warum der Kapitän den Befehl zum Anhalten gegeben hatte,
doch in den zurückliegenden Tagen hatten sich die Nordmänner
jeden Abend gleich verhalten: Sie hatten sich, kaum dass die
Ruder eingeholt worden waren, allesamt in das große rot-weiß
gestreifte Zelt im Heck der Fenrir zurückgezogen und sich dort
bis zur Bewusstlosigkeit betrunken.
Dieser Tag bildete offensichtlich keine Ausnahme. Abu Dun
und ihm waren die zweifelhaften Ehrenplätze auf den beiden
vorderen Ruderbänken zugeteilt worden, wo sie zwar eine
spektakuläre Aussicht auf das Meer hatten, aber auch die volle
Wucht jeder einzelnen Welle zu spüren

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