Blutleer
viel wert wie das Material, mit dem man sie vergleichen kann«, sagte Barbara. »Sie wollten also geschnappt werden.«
»Ja, natürlich. Jemand, der so etwas macht, der wird doch berühmt. Das Morden selber, das ist gut, aber das Beste ist doch, wenn einen alle kennen! Aber bisher sorgt ihr ja dafür, dass möglichst wenig in der Presse passiert, mein Anwalt hat es mir erzählt.« Er schlug mit den gefesselten Händen auf den Tisch. »Wissen Sie, ich werde Ihnen gar nichts mehr sagen, wenn … wenn …!«, brüllte er.
Durch das Fensterchen an der Tür konnte Barbara das Gesicht des Beamten sehen, der draußen Wache stand. Doch Barbara winkte ihm beruhigend zu.
Sie hatte Hirschfeld noch nie so wütend gesehen. Immer war er ruhig und reserviert geblieben, beobachtend und recht kooperativ, solange die Gespräche dahin liefen, wo er sie hinhaben wollte. Auf diese Weise hatte sie viel von ihm erfahren. Aber nun war es an der Zeit, ihn aus der Reserve zu locken, und dieser Versuch, ihn wütend zu machen, taugte offensichtlich dazu.
»Sie brauchen heute auch gar nicht mehr viel zu sagen, Herr Hirschfeld. Nur noch eines: Wie kam die Leiche nach Duisburg?«
Er schwieg einen Moment. Dann sagte er: »Ich habe mir von einem früheren Kollegen ein Auto geliehen. Der macht das schon mal, ich kann mir ja kein Auto mehr leisten.«
»Name, Adresse?«
»Heiner Grundeisen, Meiderich, Gerrickstraße.«
»Sie haben die Leiche also in das Auto geschafft.«
»Ja. Aber erst am nächsten Tag. Mir war klar, dass es dort wieder ewig dauern würde, bis man sie findet. Und da habe ich sie geholt und zur Schrottinsel in den Hafen gebracht. Da kenn ich mich noch aus, da habe ich eine Zeit lang gearbeitet, bevor ich kaputtgeschrieben wurde. Ganz nah am Ufer, aber sie ist dann doch reingerutscht und untergegangen. Dann hat es ja drei Wochen gedauert, bis sie wieder hochkam und gefunden wurde.«
Barbara schaltete das Diktiergerät aus. »So, das war’s für heute, Herr Hirschfeld.«
»Aber …«
»Sparen Sie sich die Details für Morgen auf. Vorfreude ist doch auch etwas Schönes, nicht wahr?«
Er funkelte sie an. »Ich brauche Ihnen auch gar nichts zu sagen.«
»Nein, das brauchen Sie nicht. Über den Fall Janicek haben Sie ja schon einiges am Abend Ihrer Festnahme gesagt. Außerdem laufen noch weitere Untersuchungen.«
»Was für Untersuchungen? Glauben Sie mir denn immer noch nicht?«
Barbara sah, dass ihn das beunruhigte, und fasste nach. »Es wird nach Zeugen gesucht, die Ihre Geschichten bestätigen können.«
»Scheißbullen«, murmelte er.
Barbara ließ ihn allein.
Im Präsidium hatte man eine riesige Wand freigemacht, die sich nun langsam mit Fotos und Aussagen füllte. Die ersten Zeugen, die Sven schon im Fall Janicek befragt hatte, waren gebeten worden, noch einmal zu kommen. Die meisten folgten der Bitte gern. Barbara bekam ein paar der Gespräche mit. Ruth Becker, eine zierliche, lebhafte Enddreißigerin, fuhr täglich von Duisburg Hauptbahnhof nach Essen und hatte Julia und ihre Freundinnen fast regelmäßig gesehen. »Sie fielen ja auf, schon wegen der Gebärdensprache, aber auch weil das wirklich hübsche Mädchen sind. Und so fröhlich!« An Hirschfeld konnte sie sich nicht erinnern, allerdings arbeitete sie abends meist recht lang, sodass sie selten den Schulschluss am Berufskolleg mitbekam. »Als ich mich damals meldete, wurde ja noch nach dem Mörder gesucht«, erzählte sie. »Und ich hatte da einen Verdacht. Es gab da einen, der die Mädchen immer so merkwürdig anstarrte, so ein schmieriger Typ Ende Zwanzig, ziemlich fett. Ich habe ihn auch schon länger nicht mehr gesehen.«
»Sein Name ist Holger Flock.« Sven, der die erneute Befragung durchführte, blätterte in den Akten. »Frau Becker, Sie waren nicht die Einzige, die ihn in Verdacht hatte. Hier!« Er zog eine Aussage aus dem Stapel der früheren Vernehmungen. »Birgit Hermanski erwähnt ihn auch.«
Ruth Becker sah auf das Foto und nickte. «Ja, diese Frau kenne ich, sie ist öfter in der S-Bahn.«
»Flock hat sich schon vor einiger Zeit eine Klage wegen sexueller Belästigung eingehandelt, weil er mehrfach im Gedränge eine Frau begrapscht hat. Das Verfahren wird bald eröffnet«, meinte Sven.
Barbara nickte der Frau anerkennend zu. »Sie haben eine gute Beobachtungsgabe, Frau Becker.«
Obwohl das gemeinsame Büro von Sven und Jakubian nicht sehr nah war, hörten sie gerade ein fürchterliches Gebrüll. Barbara stand auf, um Jakubian darauf
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