Blutleer
Vor allem auch, damit er bis zur Verlegung von Hirschfeld fern gehalten wird.«
Der Mann machte ein unglückliches Gesicht.
Barbara ging zu Hirschfeld zurück. »Haben Sie den Mann, der Sie geschlagen hat, provoziert?«, fragte sie.
»Er hat mich die ganze Zeit hart angepackt. Ich dachte, wenn er sich an mir vergreift, kriegt er Ärger. Hat doch geklappt, oder?«
Barbara konnte inzwischen sein Potential, Menschen zu manipulieren, recht gut einschätzen. »In der Forensik werden Sie mit solchen Methoden nicht sehr weit kommen.«
»Dann gibt es eben andere.« Er lehnte sich auffallend lässig zurück. »Was meinen Sie? Werde ich den Rest meines Lebens in der Klapse verbringen?«
»Den Rest, ja, das ist sehr wahrscheinlich. Aber ich denke nicht, dass man Sie als schuldunfähig ansehen wird. Und das bedeutet heutzutage zuerst Gefängnis und dann Sicherheitsverwahrung. Wahrscheinlich werden Sie in Werl landen. Da ist man auf solche Kaliber wie Sie spezialisiert.« Barbara sah ihm an, dass ihm diese Aussicht gar nicht schmeckte. Sie stellte das Diktiergerät auf den Tisch. »Befassen wir uns heute mit Julia Janicek. Und diesmal von Anfang an.«
Das Gespräch lief äußerst zäh. Barbara musste Hirschfeld jede Aussage mühsam abringen, aber sie war fest entschlossen, diesmal vollständige Informationen zu bekommen, bevor Hirschfeld wieder in seinen Erinnerungen an den Mord schwelgen konnte. Die Bemerkung des Staatsanwalts am gestrigen Morgen hatte sie getroffen.
Julia war Hirschfeld schon lange vorher aufgefallen, was kein Wunder war, denn wenn in Mülheim ihre Freundinnen zustiegen, gab es sofort ein lebhaftes und durchaus nicht leises Gespräch in Gebärdensprache. Bis Essen-West, in dessen Nähe das Berufskolleg war, hatte sich die Gruppe beträchtlich vergrößert.
Die langen, blonden Haare, das engelhafte Gesicht; alles was die Öffentlichkeit nach dem Auffinden der Leiche so interessiert hatte, waren natürlich auch für Hirschfeld ein Grund, sich Julia auszugucken. Außerdem die Tatsache, dass sie nachmittags ganze zwei Stationen alleine S-Bahn fuhr.
»Aber Sie haben sie sich nicht am Nachmittag gegriffen, oder?«, fragte Barbara.
»Das ging nicht. Es war fast Sommer, alles war hell. Und der Duisburger Hauptbahnhof ist ohnehin zu lebhaft. Aber ich beobachtete sie. Tag für Tag.«
»Sie folgten ihr überall hin?«
Er nickte. »Zur Schule. Nach Hause. Überall hin.«
»Und Sie wussten, dass dieses Schulfest war?«
»Das war überall angeschlagen. Eine Disco für Taube! Ist doch lächerlich, oder?«
»Gehörlose können die Bässe fühlen. Und sie tanzen genauso gern wie alle anderen Teenager.« Barbara zwang sich, zurück auf den Punkt zu kommen. »Weiter, Herr Hirschfeld. Sie warteten vor der Schule auf sie?«
Er nickte. »Hören Sie, ich griff sie mir in der S-Bahn.«
»Halt, halt, halt. Das geht ein bisschen zu schnell. Wann war das?«
Er seufzte. »Es war die vorletzte S-Bahn. Zehn vor zwölf, glaube ich. Und hinter Mülheim Hauptbahnhof war ich dann mit ihr ganz allein im Wagen.«
»Wie haben Sie sie aus dem Duisburger Hauptbahnhof geschafft?«
»Duisburg?« Er grinste. »Nein, nicht Duisburg. Als der Wagen so leer war, dachte ich, Styrum ist meine letzte Chance. Das Gelände dort ist gut geeignet, das wusste ich ja noch von Herborn.«
Barbara runzelte die Stirn. »Sie haben sie auf dem Bahngelände in Styrum ermordet?«
»Ja. Ich griff sie mir, sie saß ganz nah bei der Tür, hielt ihr den Mund zu und schleifte sie raus, gleich hinter die Bänke, damit uns niemand sehen konnte. Das war der gefährlichste Moment. Dann habe ich sie gewürgt, sie strampelte und wehrte sich, ich musste vorsichtig sein, damit sie nur ohnmächtig wurde. Sonst hätte sie ja nicht mehr geblutet.«
»Stopp. Dazu kommen wir später«, unterbrach Barbara ihn erneut. Er sah sie giftig an, aber sie kümmerte sich nicht darum. »Stellen wir das mal klar: Julia Janicek wurde in Mülheim-Styrum ermordet, ihre Leiche wurde aber im Duisburger Hafen gefunden. Wie kam sie da hin?«
»Hören Sie, Sie wollen doch alles der Reihe nach, oder? Ich legte sie auf den Boden …«
»Nein, Herr Hirschfeld. Ich will wissen, wie die Leiche nach Duisburg gekommen ist. Und vor allem, warum.«
»Ich hatte Herborn so dekorativ hingelegt«, sagte er, fast ein bisschen wütend. »Dann wurde er gefunden, aber niemand kam auf mich. Ich meine, ich hatte ja sogar auf ihn gewichst. Das sind doch deutliche Spuren.«
»Eine DNA-Spur ist nur so
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