Blutleer
zu Kräften kam, hatten sie begonnen, die Wohnung sporadisch wieder zu nutzen. Manchmal quartierten sie dort Gäste ein, denn so groß die Villa auch war, mit den zwei getrennten Wohnungen für sie und Thomas’ Mutter Annette war der Platz knapper geworden. Eigentlich war das neue Bett im Schlafzimmer hier nur für diese Zwecke angeschafft worden, aber in der Zeit von Thomas’ Rekonvaleszenz war es öfter vorkommen, dass sie sich hier geliebt hatten.
Barbara stand in der Schlafzimmertür, und plötzlich spürte sie Zorn hochkommen: In diesem Bett, immerhin auch ihrem Bett, hatte Thomas mit Katharina geschlafen. Sie stürzte auf das Bett zu, und obwohl es frisch bezogen aussah, riss sie die Bettlaken herunter und warf sie angeekelt in die Zimmerecke. Dann zerrte sie Kissen und Decken aus den Bezügen. Sie merkte gar nicht, dass sie die ganze Zeit dabei weinte.
Schließlich rannte sie aus dem Zimmer und warf sich erschöpft auf die großen orientalischen Bodenkissen im Wohnzimmer. Langsam beruhigte sie sich.
Sie versuchte, ein wenig Ordnung in ihre Gedanken und Gefühle zu bringen. Gestern noch hatte die Tatsache, dass Thomas und sie sich weiter auseinander gelebt hatten als sie geglaubt hatte, noch unendlich geschmerzt. Und heute diese Eifersuchtsattacke, dieser Wille zu kämpfen. Sie kannte sich selbst nicht mehr. Ganz klein kam sie sich vor zwischen den Kelim-Kissen. Sie erinnerte sich, wie gern sie dort immer gesessen hatte. Hier hatte Thomas sie zum ersten Mal in den Arm genommen. Dann fiel ihr Blick auf den leeren Fleck an der Wand über der wertvollen antiken Biedermeierbank. Dort hatte das Landschaftsgemälde aus dem frühen 19. Jahrhundert gehangen, das jetzt diesen wunderbaren Kontrast zu ihren modernen Esszimmermöbeln bildete. Plötzlich fröstelte sie. Zum ersten Mal fühlte sie sich in Pempelfort unwohl.
Schon während der Fahrt hatte Barbara überlegt, wie es sein würde, wenn sie nach Hause käme und alles wäre wie vor Katharinas Auftauchen. Es hatte sich ja nichts geändert, nur Thomas’ offensichtliche Schwäche gegenüber Katharina hatte weiter an ihrem Bild von ihm gekratzt.
Er kam ihr entgegen, sobald er ihren Schlüssel in der Tür hörte. Sie sah sein Gesicht und wusste sofort: Sie war noch da.
Sie war sich so sicher gewesen, dass er ihren Wunsch respektieren und sein Versprechen halten würde. Nun fühlte sie sich mehr betrogen denn je.
Thomas hatte noch kein einziges Wort gesagt.
»Wo ist sie?«, fragte Barbara.
»Oben im Gästezimmer.«
Barbara öffnete die Tür zur Abstellkammer, wo sie ihre Koffer aufbewahrten.
Thomas sah ihr entgeistert zu. »Barbara, bitte! Bitte hör mir doch zu.«
Sie sagte nichts, sondern versuchte verbissen, an den kleinen Trolley im oberen Regal zu gelangen, den sie immer für Wochenendreisen nutzte. Thomas stellte sich neben sie und zerrte ihn herunter.
»Danke«, sagte sie knapp.
»Barbara! Es ist nicht leicht für Katharina zu akzeptieren, dass sie professionelle Hilfe braucht. Sie hat Angst, kannst du das nicht verstehen?«
»Sie ist nicht in der Lage zu beurteilen, was sie braucht und was nicht.« Barbara war erstaunt, wie ruhig ihr das über die Lippen kam. »Du musst dafür sorgen, dass ihr geholfen wird, dir vertraut sie. Und du hilfst ihr nicht, indem du ihren Launen nachgibst.« Sie ging mit dem Koffer ins Schlafzimmer. Dort packte sie ein paar Sachen ein.
»Du wirst doch nicht diese alberne Drohung von heute Morgen wahr machen, Barbara?« Thomas sah ihr von der Tür aus zu, scheinbar emotionslos, aber Barbara kannte ihn.
»So? Du findest es also albern, wenn ich nicht mit deiner Geliebten unter einem Dach schlafen möchte?« Barbara bremste sich, denn sie merkte, dass ihre bisherige äußere Gelassenheit ins Wanken geriet. Sie griff sich ihren kleinen Kulturbeutel und verschwand damit im Badezimmer. Die Kosmetika waren schnell gepackt.
»Wo willst du denn hin?«, fragte Thomas nun doch ein bisschen verzweifelt.
»Du kannst mich jederzeit auf dem Handy erreichen.« Sie schob ihn aus der Badezimmertür.
»Dann weißt du ja nicht mal, wo du hin …« Er brach ab, denn Katharina stand plötzlich im Flur. Barbara sah sie kurz an und hatte das Gefühl, mit dem Häufchen Elend von gestern Abend war eine erstaunliche Wandlung vor sich gegangen. Das schutzbedürftige Püppchen war zwar nicht verschwunden, aber irgendwo loderte ein Funken Selbstbehauptung. Sie sah interessiert zu, wie Barbara ins Schlafzimmer ging.
»Katharina, bitte geh
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