Blutleer
plötzlich.
Bülent sagte etwas auf Türkisch, aber Fatiye schüttelte den Kopf. »Wenn der Mörder tot wäre, würden Sie sich nicht mehr so für die Opfer interessieren«, übersetzte er.
Barbara sah Jakubian an, er nickte unmerklich. »Wir sind uns noch nicht sicher, Frau Yildirim. Aber es ist gut möglich, dass Hirschfeld nicht der Mörder war. Aber bitte behalten Sie das für sich.«
Fatiye und Bülent nickten stumm.
Bülent löste sich aus der Starre. »Ich begleite Sie noch hinaus.«
Im Flur sagte er leise: »Fatma war unser Liebling, unser Ein und Alles. Wir haben hier immer nur Jungs, auch meine Brüder haben nur Söhne. Sie war das einzige Mädchen, und wir haben sie so sehr geliebt.« Auch er hatte Tränen in den Augen.
»Die Duisburger Polizei ermittelt wegen des Mordes an Hirschfeld«, sagte Jakubian vorsichtig. »Sie werden auch Ihren Vater befragen, was er und seine Familie bereit waren zu tun, um Fatmas Tod zu rächen.«
»In meiner Familie wird seit Generationen keine Blutrache mehr verübt«, meinte Bülent Yildirim mit bitterem Spott.
»Trotzdem hätten Sie die Möglichkeit gehabt. Was ist zum Beispiel mit Ihrem Onkel Hassan Ali? Finanziert er nicht auch das Teppichhaus?« Eine nettere Umschreibung für das Stichwort »Geldwäsche« hätte Jakubian nicht finden können.
»Ich habe keine Ahnung, mit welchen Geschäften mein Vater und seine Brüder ihr Geld verdienen, Herr Jakubian. Und ich will es auch nicht wissen. Ich studiere Elektrotechnik, und ich habe nicht vor, in die Türkei zurückzukehren. Ich hoffe, dass ich bald meinen deutschen Pass bekomme.« Er machte eine kleine Pause. »Auch meinen Onkeln und meinem Vater ist klar, dass ein weiterer Mord uns Fatma nicht mehr zurückbringt.« Er verabschiedete sich.
»Ein vernünftiger junger Mann«, meinte Barbara auf dem Weg zum Wagen.
»Ja«, meinte Jakubian. »Aber vielleicht sieht er seine Familie ein wenig zu sehr in rosarotem Licht. Hassan Ali Yildirim ist ein bekannter Waffenhändler, und die verschiedenen Geschäfte seiner Brüder und Neffen dienen der Geldwäsche. Nicht, dass er oder die anderen sich hier je etwas zu Schulden haben kommen lassen. Aber er hätte sowohl die Verbindungen als auch das Material für den Anschlag gehabt. Vom Geld gar nicht zu reden.«
Auf der Rückfahrt war Barbara sehr schweigsam. Gespräche mit den Angehörigen der Opfer fielen ihr immer schwer. Es hatte mal eine Zeit gegeben, wo sie ihre Emotionen in solchen Situationen völlig abgeblockt hatte, damit sie den Job überhaupt machen konnte. Das hatte zu einer inneren Erstarrung geführt, die fast in einer Katastrophe geendet hatte. Bei einem Kindesmordfall war plötzlich alles über sie hereingebrochen, und als dann noch die Schuld dazukam, dass sie den letzten Mordfall dieser Serie vielleicht hätte verhindern können, kam es zum Nervenzusammenbruch. Kurz danach hatte sie Thomas kennen gelernt. Seitdem war er derjenige gewesen, der ihr geholfen hatte, mit den Belastungen fertig zu werden. Sie fühlte wieder mit den Opfern und ihren Angehörigen, hatte das Gleichgewicht gefunden zwischen professioneller Distanz und emotionaler Anteilnahme. Aber Thomas war weit weg. Katharina baute geschickt ein Netz von Verstrickungen und Schuldgefühlen auf, und er war nicht in der Lage, das wirklich zu erkennen. Und Barbara war allein.
Fatiye Yildirim hatte sie sehr beeindruckt. Ja, sie hatte geweint, aber trotzdem war sie weit gefasster gewesen als viele, mit denen sie bisher gesprochen hatte. Wenn Fatma ihr nur halbwegs ähnlich gewesen war, was hätte aus der Kleinen werden können!
»Eine kluge Frau«, sagte Jakubian in die Stille.
»Ja. Ich mochte sie einfach nicht anlügen.«
»Ich auch nicht.« Er zog eine Tüte Bonbons aus dem Handschuhfach. »Magst du?«
Sie nahmen beide eins. »Weißt du, was mir nicht aus dem Kopf geht?«, fragte er und sprach gleich weiter: »Wenn es nicht Sommer gewesen wäre, dann hätte sie jemand aus der Familie zum Klavierunterricht gefahren. Dann würde sie vielleicht noch leben.«
»Ja, das ist wirklich tragisch.«
In diesem Moment klingelte Jakubians Handy. Er nahm das Gespräch an, und Barbara versuchte, in seinen Wortfetzen irgendeinen Sinn zu erkennen, gab aber bald auf.
»Wir sind auf der A 40, wir kommen hin. – Das war Max Erhard. Wir sollen nach Styrum kommen, sie haben den Tatort entdeckt.«
»Ist das sicher?«, fragte Barbara.
»Ja. Da ist viel Blut. Und Julias Handy.«
Barbara erinnerte sich. Das war etwas,
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