Blutleer
Anlaufstelle gewesen, wenn es Thomas schlecht ging.
Das Opfer Sandra Acker lag auf der Intensivstation. Barbara und Jakubian mussten sich Hauben über den Kopf ziehen und in grüne Kittel steigen. Barbara konnte sich ein Grinsen nicht verkneifen: Auch der größte Kittel sah an Jakubian so aus, als wäre er schon vor Jahren herausgewachsen. Es tat gut, in dieser Umgebung ein paar heitere Gedanken zu haben. Barbara kam es vor, als wate sie durch eine Welle alter Emotionen: Angst, Hoffnung und Resignation. Seit Thomas’ Herztransplantation hatte sie Krankenhäuser konsequent gemieden.
Obwohl der Arzt sich dagegen sträubte, durften sie schließlich gemeinsam zu der jungen Frau. Als Barbara sie zuletzt gesehen hatte, war sie ganz blutig gewesen, jetzt konnte man ihre vielen Verletzungen besser sehen: die blauroten Striemen am Hals, die vielen kleinen Schnittwunden, von denen einige geklammert worden waren. Der Täter musste sie auch geschlagen haben, denn das Gesicht war ganz blau und geschwollen. Auch der Arzt kam mit. Er berührte sie sanft an der Hand, und sie schlug sie Augen auf, so gut sie konnte. Der Arzt entfernte den Schlauch des Beatmungsgerätes und hielt die Öffnung zu, damit sie flüstern konnte.
»Polizei?«, flüsterte sie.
»Ja. Das ist Ruben Jakubian, und ich bin Barbara Hielmann-Pross.«
Sandra Acker schnappte ein wenig nach Luft, das selbstständige Atmen fiel ihr offensichtlich schwer. »Sie wollten mir wieder was geben, aber ich sagte, ich muss wach bleiben. Ich muss Ihnen sagen, wer es war.«
»Sie hat keine Ruhe gegeben, bis wir Sie angerufen haben«, sagte der Arzt. »Sie haben nur ein paar Minuten.«
Sandra wirkte erschöpft. Sie wollte etwas sagen, aber es gelang ihr nicht. Barbara kramte das Phantombild hervor und zeigte es ihr. »Sehen Sie sich bitte das Bild an.«
Sandra Ackers Augen weiteten sich. Barbara beugte sich ganz nah zu ihr herunter. »Das ist Frank«, flüsterte sie. »Frank Braun. Er hat das getan.«
»Sie kennen ihn also?«
Sandra Acker nickte kaum merklich. »Er hat mich auf der Straße angesprochen, vor drei Tagen.«
»Haben Sie seine Adresse?«
Sandra Acker brauchte eine Weile, um antworten zu können, anscheinend strengte sie das Reden mehr an als sie gedacht hatte. »Ackerstraße. Neben der Sushi-Bar
Man-Thei
. Ich war gestern dort. Die Wohnung ist im Dach links. Er war … er war sehr nett zu mir.« Sie begann zu husten. »Aber als er mich nach Hause brachte …« Wieder musste sie husten.
»Genug jetzt«, sagte der Arzt. »Das ist zu anstrengend für sie. Sie müssen gehen. Gehen Sie!«
Jakubian und Barbara gingen zurück in die Schleuse. Barbara bemerkte, dass Jakubian ein bisschen blass um die Nase war.
»Ich kann das nicht gut ab«, sagte er.
»Ich auch nicht. Ich hatte das früher ein paarmal zu oft.«
»Thomas?«, fragte er.
Sie nickte und warf Kittel und Haube in den dafür vorgesehenen Drahtkorb.
Sie machten Zwischenstation im Düsseldorfer Polizeipräsidium, wo bereits fieberhaft nach dem Mann gesucht wurde. Doch die Überraschung war perfekt: Es gab zwar fast dreißig Männer, die Frank Braun hießen, aber niemand war unter der Adresse auf der Ackerstraße gemeldet – weder in den Häusern vor noch hinter der Sushi-Bar. Nachdem einige herausgefiltert waren, bei denen das Alter nicht stimmte, machten sich Düsseldorfer Beamtenteams auf den Weg zu jedem Einzelnen. Außerdem wurde die Wohnung beschattet.
Stunden später stand fest: Der Name Frank Braun musste falsch sein. Der Mörder hatte sich unter falschem Namen auf der Ackerstraße eingemietet und Sandra den falschen Namen genannt.
»Verdammt«, fluchte Jakubian. »Der Kerl ist einfach nicht zu fassen.«
In diesem Moment meldete sich das Beschattungsteam von der Ackerstraße und Jakubian wurde ans Telefon gerufen. »Habt ihr Braun?«
»Ja. Braun schon, aber er ist nicht unser Mann.«
Barbara kannte die Sushi-Bar. Sie hatten Glück, einen Parkplatz zu finden. Diese waren an den Straßen mit den hohen alten Häusern und den vielen Läden und Kneipen dünn gesät. In zweiter Reihe zu parken war in Düsseldorf Volkssport.
Die Beschatter hatten vorgeschlagen, sich in der Sushi-Bar zu treffen. Bei ihnen saß ein junger Mann um die dreißig mit kurz geschorenem blondierten Haar – Frank Braun, wie sich herausstellte, und es gab nicht die geringste Ähnlichkeit mit dem Phantombild.
»Ich wohne erst seit einem Monat hier«, erzählte er. »Dachgeschoss rechts.«
»Er hat sich noch nicht
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