Blutlinie
weißes Haar, das nach hinten gekämmt war. Seine zusammengekniffenen Augen huschten von Brandon zu mir, dann lächelte er breit.
„Kommen Sie herein, man erwartet Sie bereits.“
Er trat zur Seite, sodass ich Brandon in den Raum folgen konnte. Meine Füße führten mich hinein, nicht mein Verstand. Ich lief wie ein Roboter, versuchte meine Scheu zu verstecken. Blood lief uns nach, blieb an der Tür sitzen. Hatte er etwa auch solch große Angst so wie ich? Das war kein gutes Zeichen, denn Tiere kannten sich besser damit aus, wem man vertrauen konnte und wem nicht. Das fing ja gut an.
Der Diener schloss leise die Tür. Der großzügige Raum überwältigte mich genauso wie ich gedacht hatte. Schon der Flur ließ darauf vermuten, dass hier niemand seines Amtes waltete, der arm zu nennen war.
Eine geschnitzte Vitrine, ein klobiges Regal, das mit Unmengen an alten Schriftrollen und Büchern voll gestopft war, ein breiter Schreibtisch, der vor dem bodentiefen Fenster stand, eine Standuhr, mehrere schwarze Ledersessel, die vor dem prasselnden Kamin aufgereiht waren, ein schwerer grauer Teppich, ein Tisch mit alkoholischen Getränken, Zigarrenkisten und Kerzen. Das alles nahm ich in mich auf, nebst den schönen weinroten Vorhängen, die fließend auf den Boden vor dem Fenster fielen, das verspiegelt war, damit niemand hinein, die Bewohner aber hinaus sehen konnten.
Alle Möbel waren mahagonibraun, sehr gut erhalten und strahlten eine Eleganz aus, die mich sprachlos machte. Meine Aufmerksamkeit wurde auf eine Gestalt gelenkt, die aus dem Fenster blickte und mit dem Rücken zu uns stand. Es war ein Mann, in einen schwarzen Anzug gekleidet, seine Haare zu einem Zopf zusammengebunden, die Hände auf dem Rücken verschränkt. Gemächlich drehte er sich um, und ich blickte in ein verhärmtes Gesicht, das eine Geiernase zierte. Seine Augen waren von einem so intensiven kalten Hellblau, dass es mir eisig den Rücken hinunterlief. Die Haut schien wie Pergament, seine knöchrigen Finger zierten lange Fingernägel. Ich schaute wieder in seine Augen, die mich immer noch fixierten.
„Herr“, verbeugte sich Brandon, „ich habe sie wohlbehalten hierher gebracht.“
Oh Gott, waren wir in den Jahrhunderten zurückgereist? Herr?
Der Typ am Fenster jagte mir eine Heidenangst ein.
„Ich bin äußerst zufrieden, Cross, dass Sie das hinbekommen haben. Gab es Zwischenfälle?“, schnarrte die Stimme des anderen.
Konnte es sein, dass einem noch mehr Gänsehaut wuchs? Sogar meine Nasenhaare stellten sich bei der Klangfarbe seiner Stimme auf.
„Ja, Herr. Wir wurden in einem Motel überfallen. Ich glaube, man hat uns verraten.“
„Wie ich sehe, haben Sie die Kleine gut verteidigt.“
„Ich habe mein Bestes getan. Ich verstehe nur nicht, wie man uns finden konnte.“
Wachsam sah Brandon ihn an, der seinen Blick gleichmütig erwiderte.
„Eine unschöne Sache, der der Rat nachgehen muss.“
Dann kam er auf mich zu, Brandon machte im Hintergrund irgendwelche Zeichen. Was wollte er von mir? Was? Oh!
Ich bekam ebenfalls eine Verbeugung hin, die ein bisschen aussah, als hätte ich Rückenschmerzen. Der Mann blieb vor mir stehen, lachte laut auf, aber es klang freudlos. Bei näherer Betrachtung konnte ich seine Falten sehen, die sich an der Stirn und neben den Wangen eingegraben hatten. Er war so dünn, dass ihn ein bloßer Windstoss umpusten musste.
„Ich bin Darius. Es ist mir eine Freude, dich endlich kennenzulernen.“
Enthusiastischer ging es kaum. Warum glaubte ich ihm das nicht? Er nahm mich tatsächlich in die Arme und küsste mich auf beide Wangen. Brrrrr!
„Gleichfalls“, sagte ich lahm.
Er roch nach Zigarrenqualm und Pfefferminze.
Blood knurrte neben mir. Ja, gib’s ihm, Junge!
„Cross, nehmen Sie ihren Köter zur Seite, Sie wissen genau, dass er hier nichts zu suchen hat.“
„Blood, komm her!“
Sofort saß der Rottweiler neben seinem Herrchen.
„Sie können jetzt gehen, Cross. Der Rat wird gleich zusammenkommen.“
„Herr, kann sie sich nicht erst einmal ausruhen?“, fragte Brandon Darius.
Darius . Der Name kam mir wie aus einer anderen Epoche vor, er hatte etwas Ehrwürdiges, Altertümliches. Doch dieser Mann verströmte bei Weitem nicht diese Eleganz.
„Wenn sie das möchte…“, wandte sich Darius an mich.
Ich straffte die Schultern.
„Nein, danke. Es ist okay. Ich möchte nicht mehr länger warten“, sagte ich mit fester Stimme.
„Dann sei es so, mein Kind. Möchtest du etwas trinken
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