Blutlinie
losgehen“, rief Darius und erhob sich.
Der Elbenverschnitt kam als Erster auf mich zu. Mittlerweile war ich aufgestanden, verbeugte mich schief und wollte ihm die Hand geben. Er nahm sie in seine manikürte, hob sie an die Lippen und streifte leicht meine Knöchel.
„ Enchanté! Sehr erfreut, dich kennenzulernen“, raunte er. „Ich bin Pierre.“
Verwirrt starrte ich zu ihm hinauf, als ich den französischen Akzent bemerkte.
„Hallo.“
Dann trat er grinsend zur Seite, sodass der ältere Mann zum Zuge kam.
„Du konntest es nicht erwarten, wie?“, lachte dieser Pierre an. „Ich bin ein bisschen älter als du und hätte es verdient gehabt, sie als Erster zu begrüßen.“
„Meine Liebe“, wandte er sich an mich, küsste mich herzlich auf beide Wangen – bei ihm machte es mir komischerweise nicht das Geringste aus – und drückte meine Hände.
Ich verstand nicht, warum alle so froh waren, mich zu sehen. Ich kannte niemanden hier und war innerlich so aufgeregt, dass ich dachte, ich müsste platzen.
„Ich bin Rafael“, sagte er und legte den Kopf schief. „Ja, du hast eine Menge von deinem Vater.“
Darius räusperte sich vernehmlich vom Kamin, von wo aus er die ganze Szene beobachtete.
Mir hatte noch niemand gesagt, dass ich wie Dad aussah; er hatte braune Augen und ganz andere Gesichtszüge. Eher hatte man mir bescheinigt, dass ich Mom sehr ähnlich sah.
Rafael sah Darius kurz an, dann drückte er noch mal meine Hände und ging sich einen Drink einschenken.
Der dritte im Bunde, der sich als Sebastian vorstellte, schüttelte mir kurz die Hand, strahlte mich an und setzte sich dann auf einen der Ledersessel.
„Bitte nimm Platz, Virginia“, forderte mich Rafael auf.
Er hatte eine schmeichelnde Stimme, die es sogar fertig brachte, dass ich innerlich ruhiger wurde. Ich setzte mich, während die Männer sich noch weitere Drinks einschenkten, bis auf Sebastian, der lässig auf dem Sessel saß.
Rafael reichte mir ein Glas Saft, dass ich an mich nahm, obwohl ich gar keinen Durst verspürte, aber es abzulehnen, erschien mir blöd. Ich nippte ganz kurz daran, dann stellte ich es auf einen kleinen Tisch in der Nähe.
Rafael räusperte sich, leerte in einem Zug sein Glas, stellte es weg und sah mich freundlich an.
Mein Herz fing an zu rasen, ich krallte meine Hände in die Schenkel und wartete.
„Ich kann mir denken, wie du dich fühlst, mein Kind“, begann er behutsam. „Seit einiger Zeit ist nichts mehr so wie es vorher war, und es muss sehr aufwühlend sein, hier zu sitzen und nicht zu wissen, was in deinem eigenen Leben vor sich geht.“
Ich nickte und war gleichzeitig überrascht, dass Rafael das Wort an mich richtete. Ich hatte geglaubt, dass Darius der Sprecher des Rates war, so einschüchternd wie er wirkte. Es konnte aber auch sein, dass dieses Recht von den Lebensjahren abhängig war – und ich musste zugeben, dass Rafael deutlich älter aussah, wenngleich er ein viel schönerer Mann war. In seinen Zügen lag Wärme und keinerlei Boshaftigkeit.
„Was du nun erfährst, wird wie ein Schlag ins Gesicht sein. Du wirst uns höchstwahrscheinlich zuerst nicht glauben, aber sei versichert, dass alles, was wir dir berichten, die Wahrheit sein wird. Für den Anfang werden wir dir noch nicht alles erörtern können und auch wollen, sonst sitzt der Schock zu stark.“
Wie aufmunternd war das denn? Ich spürte, wie sich eine neue Panikattacke den Weg hinauf in meinen Körper bahnte. Meine Füße kribbelten, die Hände waren schweißnass, und dabei hatte ich noch gar nicht gehört, worum es überhaupt ging.
Durchhalten, Virginia! Du bist deinem Ziel so nah. Wie schlimm kann es schon werden?
„Ist alles in Ordnung? Brauchst du Zeit?“
Rafael sah mich besorgt an.
„Ich muss das schaffen, bitte sprechen Sie weiter.“
„Du musst nicht Sie sagen, Virginia“, warf Darius ein. „Wir kennen dich schon lange und du sollst Vertrauen zu uns haben.“
„Vertrauen? Ich kenne Sie doch überhaupt nicht“, entschlüpfte es mir.
Und wieso kannten sie mich schon so lange?
„Da hat sie recht“, lächelte Rafael. „Aber halten wir uns nicht bei diesen Kleinigkeiten auf. Wir sind heute zusammengekommen, um endlich etwas Licht ins Dunkel zu bringen, und das sollte uns auch gelingen.“
Mein Leben war licht genug, ich hatte eher Angst, dass es ab diesem Zeitpunkt finsterer werden würde – finsterer in mir, in meinem Leben.
Ich sagte nichts, harrte der Dinge, die kamen.
„Wo fange ich am
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