Blutlinie
besten an? So oft hatte ich mir diese Rede zurecht gelegt, aber wenn dann solch ein Zeitpunkt endlich gekommen ist, ist immer alles anders.“
Er räusperte sich.
„Dein Leben ist in den letzten Jahren unspektakulär verlaufen, dennoch glaube ich, weil ich dich für ein kluges Mädchen halte, dass du bemerkt haben wirst, dass es nicht immer so normal war wie du dachtest.“
Die vier Männer blickten mich gespannt an.
Er hatte recht, es gab Situationen, die mir immer wieder in den Sinn gekommen waren, die ich aber als Einbildungen abgetan hatte.
Meine Mutter, die damals so verwirrt erschien, als ich sie besuchte, mein Vater, der sehr oft am Telefon gestockt hatte, mir immer wieder einbläute, dass ich aufpassen sollte, und dann der grausame Vorfall, als ich 18 war, in dieser Stadt, in die ich ohne meines Wissens zurückgekehrt war. Und die ich niemals wieder hatte betreten wollen.
„Ja“, stimmte ich leise zu.
„Was ich dir jetzt sage, wird schwer begreifbar sein, mein Kind. Du darfst alles tun, was du willst, aber um eines bitte ich dich: Vertraue mir, auch wenn du mich nicht kennst, denn ich werde dich nicht belügen.“
Ich schluckte schwer.
„Samuel und Claire sind nicht deine richtigen Eltern. Du wurdest von ihnen mit ungefähr einem Jahr adoptiert.“
Egal, was er noch sagen würde, ich hörte es nicht mehr. Mein Gehirn verschloss sich, es war nicht mehr aufnahmefähig. Mein Verstand verlangsamte sich, bis ich fühlte, dass er ausgesetzt hatte. Ich blickte Rafael fest in die Augen.
„Was sagen Sie da?“
Vor mir stieg dieser gleißende Nebel auf, der mich schon im Fahrstuhl eingehüllt hatte. Ich fühlte, wie er versuchte, in meinen Mund zu schleichen, um mir die Luft abzusaugen. Mein Kopf schnellte vor, ich beugte ihn zwischen meine Beine, versuchte das Taubheitsgefühl loszuwerden, aber es ging nicht. Die Attacke hatte mich fest im Griff, ich konnte nicht weglaufen. Plötzlich war Rafaels Gesicht vor mir, als ich wieder den Kopf hob. Alles drehte sich. Er sagte etwas, dass ich nicht verstand, nur undurchdringliche Laute erreichten meine Ohren, die weiter in mein Gehirn drangen. Was hatte er eben gesagt? Das Schlimme war, dass ich Rafael glaubte. Es musste so sein, er würde mich nicht belügen. Oder doch?
Allmählich kehrte ich wieder in meinen Körper zurück, der Nebel war dabei, sich zu lichten, das Blut pumpte fast normal durch meine Venen, das Atmen fiel mir leichter.
„So ist es gut“, hörte ich Rafaels Stimme, die den Rauch durchdrungen hatte.
„Sollen wir es lieber gut sein lassen für heute?“, fragte er dann mit einem Blick in die Runde.
„Nein…bitte…“, flehte ich ihn krächzend an. „Mir geht es besser. Ich möchte alles wissen.“
Rafael streichelte mit seiner kühlen Hand über meine brennende Wange.
„Bist du dir sicher?“
„Ja, bitte“, drängte ich ihn.
„Das könnte etwas viel werden“, bemerkte Pierre und zog sich seine Schleife in Form. „Ob sie das alles verkraftet, ich weiß nicht.“
„Ich verkrafte es“, sagte ich bestimmt.
Alle Augen richteten sich auf mich. Rafael drückte meine Hand, dann ging er zu seinem Sessel und schob ihn zu mir hinüber, bis er neben mir stand. Er nahm wieder meine Hand und ich war ihm unendlich dankbar, dass er das für mich tat.
„Deine richtigen Eltern sind gestorben, als du ein Baby warst. Deine Eltern haben wir ausgesucht, da uns schon seit Generationen ein sehr enges Band verknüpft hat.“
„Wer waren meine Eltern? Wie hießen sie?“
„Deine Mutter hieß Lana und dein Vater John. Sie beide liebten sich sehr und als du geboren wurdest, warst du ihr großes Glück.“
„Wie sind sie gestorben?“
Ich gab mir große Mühe, dass meine Stimme nicht zitterte.
„Es war ein Unglück.“
Rafael schaute zum Fenster, so als würde er vermeiden wollen, mich anzusehen.
„Was ist geschehen?“
„Es wäre mir lieber, wenn ich nicht darüber sprechen müsste“, sagte Rafael leise. Er fand meine Augen, unglaublicher Schmerz stand in seinen.
„Sie fielen einem Gewaltverbrechen zum Opfer.“
Ich spürte, wie heiße Tränen meine Augen füllten, alles verschwamm vor mir. Ich ließ den Kopf sinken und fing an zu weinen.
„ Merde , die Kleine bricht noch zusammen“, rief Pierre von seinem Sessel aus.
Er kam zu mir, hob ein Glas mit einer goldenen Flüssigkeit an meine Lippen.
„Trink.“
Ich nahm einen großzügigen Schluck, der meinen Magen, einmal dort angekommen, zum Brennen brachte. Mir wurde
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