Blutlinien - Koeln Krimi
präsent, dass sie kaum Luft bekam. Ein erneuter Weinkrampf überfiel sie mit Heftigkeit, nahm ihr den Atem.
Sie flüchtete ins Erdgeschoss, öffnete mit zitternden Fingern eine Flasche Wein und telefonierte nacheinander mit Freundinnen und ihrer Familie. Es gelang ihr nur mit Mühe, die vielen Hilfsangebote abzuwehren. Sie wollte niemanden sehen, nicht abgeholt werden und, wie sie nach dem siebten Telefonat feststellte, auch nicht mehr reden.
Elise wünschte sich, dass Karina zur Tür hineinkäme, lachend das Haus mit Leben füllte, sie neckte, küsste und sie sich gemeinsam über das Abendessen hermachten, bevor sie im Schlafzimmer verschwanden. Vorbei. Nichts davon wird jemals wieder geschehen.
Die Gestalt sah Elise, als sie in die Küche ging, um die leere Weinflasche abzustellen. Abrupt verharrte sie in der Bewegung, stand ganz still. Ihr Herz schlug bis zum Hals, als sie realisierte, dass die Silhouette auf der Mauer zu ihrem Grundstück real war und nicht ihrer Einbildung entsprang. Die Person saß einfach da. Rauchte. Elise konnte deutlich die rote Glut sehen. Gott sei Dank hatte sie kein Licht gemacht. Mit klopfendem Herzen spähte sie hinaus. Die Mauer stand in ungefähr acht Metern Entfernung. Es war zu dunkel, um etwas zu erkennen, sie konnte lediglich die Umrisse der Gestalt ausmachen. Mann oder Frau? Unmöglich zu sagen.
Auf Zehenspitzen schlich Elise ins Wohnzimmer, zitternd am ganzen Körper. Polizei. Sie musste die 110 wählen. Karinas Mörder war noch nicht gefasst. Das Motiv lag völlig im Dunkeln. Oft sind Verbrechen Beziehungstaten. Die Worte der Kommissarin wühlten Elise zusätzlich auf. Sie fand ihr Handy und drückte die Nummer, während sie zum Fenster zurückging. Die Gestalt war verschwunden. Erleichterung. Elise entspannte sich. Trotzdem legte sie nicht auf. Freizeichen. Jemand nahm das Gespräch an.
Noch bevor Elise ein Wort sagen konnte, tauchte die schwarze Gestalt direkt am Fenster auf. Bedrohlich nah. Ein bärtiges Gesicht wurde gegen die Scheibe gedrückt. Gleichzeitig schlugen zwei Hände gegen das Glas. Elise schrie, als sie den Mann erkannte. Elmar Wissing. Oh Gott. Den hatte sie vollkommen aus ihrem Gedächtnis gestrichen.
Köln-Nippes, Gustav-Nachtigal-Straße
»Tschüss, bis morgen«, rief Frieda und steuerte mit Wilson zielstrebig auf die Haustür zu.
Maline wischte sich mit dem Handrücken über die Stirn und schob die Baseballkappe in den Nacken. Die Küche sah aus wie ein Schlachtfeld, obwohl sie nur einen Salat zubereitet hatte.
»Ich habe Pizza bestellt, auch für euch! Ich dachte, wir essen alle zusammen. Lou kommt auch gleich.«
Frieda kam in die Küche zurück, während ihr Freund aus der Haustür verschwand. »Du bist ja witzig, weißt du, wie spät es ist? Wir haben längst gegessen. Papa hatte uns ins ›Mitica Italia‹ eingeladen, ich hab jetzt nur schnell ein paar Sachen zusammengepackt und meine Schulsachen für morgen geholt.«
»Das hättet ihr mir aber auch sagen können«, schimpfte Maline.
»Du hast nicht gefragt. Wir sind jetzt bei meinem Vater. Er fliegt morgen ganz früh in die USA , wir übernachten bei ihm.« Frieda schüttelte den Kopf und folgte Wilson.
Maline seufzte. Die Uhr hatte sie überhaupt nicht im Blick gehabt.
Sie beseitigte das Chaos in der Küche und deckte im Esszimmer für drei Personen, bevor sie ins Badezimmer verschwand und unter die Dusche sprang.
Als sie die Treppe wieder hinunterkam, sah sie Lou in die Einfahrt einbiegen. Hinter ihr hielt der Mann vom Pizzadienst und drückte Lous Freund vier Pappkartons in die Hand.
»Wo sind die Kinder?«, fragte Lou, als sie Sekunden später das Haus betrat und ihre Lederstiefel in den Schuhschrank stellte.
»Hat Frieda dich nicht angerufen?«, fragte Maline.
»Nein, bei mir hat sich meine Tochter den ganzen Tag noch nicht gemeldet.«
Clemens verteilte die Pizzen auf die Teller, setzte sich, bediente sich beim Salat, begann zu essen und warf Maline einen entschuldigenden Blick zu.
»Sorry, ich kann einfach nicht länger warten. Ich hab einen Bärenhunger.«
Lou und Maline setzten sich ebenfalls. Maline schielte zu Clemens. Das hellblaue Designerhemd stand ihm ausgezeichnet, und er wirkte wie immer äußerst gepflegt. Vermutlich ging er regelmäßig zur Maniküre. Auf jeden Fall betrieb er Körperkult, joggte und stemmte Gewichte. Maline hatte ihn bisher noch nicht oft gesehen, aber sie mochte seinen Sinn für Humor, auch wenn sie ihn ein bisschen direkt fand. Das hatte sie
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