Blutlust
Vielleicht hat der Hummer mich gar nicht so schwer getroffen. Außerdem war ich vollgepumpt mit Adrenalin durch die Nacht mit Max, den Ereignissen des Tages, der Aktion im ›Kitty‹ und meiner Flucht vor Carla und ihren Schoßhündchen.«
»Das glaubst du wirklich?«
»Das glaube ich eher als irgendein Märchen von Vampiren und Killer-Monstern«, sagte ich. »Meiner Ansicht nach sind Carla und ihre Gang einfach nur verwöhnte, reiche, kranke und menschenverachtende Perverse, die auch vor Mord nicht zurückschrecken, um ihre abartigen Gelüste ungestört ausleben zu können. Und die ›Beschützer‹ sind in meinen Augen nicht viel besser. Besessene Fanatiker, die den Hass ernten, den sie selbst säen mit ihren Anschuldigungen, Verfolgungen und Schlagstöcken.«
Sandra schüttelte niedergeschlagen den Kopf.
»Und was geht das dich überhaupt an?«, wollte ich von ihr wissen. »Welche Rolle spielst du bei der ganzen Sache? Du gehörst weder zu den einen noch zu den anderen. Was willst du von mir? Warum bist du hier?«
»Um eine Katastrophe zu verhindern«, sagte sie leise. »So oder so.« Und damit zog sie etwas aus dem alten Leinenbeutel, den sie sich umgehängt hatte.
Zunächst konnte ich nicht erkennen, was es war, aber als ich es dann sah, sprang ich nach der anderen Seite aus dem Bett – die Infusionsnadel vergessend und den Schlauch abreißend.
Es war ein altes sichelartiges Messer aus einem merkwürdigen Metall, das in der Farbe eher an Bronze erinnerte als an Stahl oder Eisen. Die gekrümmte Klinge war mit Schriftzeichen verziert, deren Sprache ich nicht kannte. Allerdings erinnerten sie mich vage an Schriftzeichen, wie ich sie auch auf der Pyramide in meinem Traum gesehen hatte.
Jegliches Mitleid war aus Sandras Augen verschwunden, als auch sie jetzt auf der anderen Seite vom Bett aufstand.
»Es muss sein, Sinna«, sagte sie. »Wehr dich nicht.«
Wehr dich nicht?!?
»Du bist irre!«, rief ich.
»Ich tue nur, was getan werden muss.«
»Hilfe!«, schrie ich, so laut ich nur konnte.
Sie machte einen Sprung zur Tür und schlug sie zu.
»Hilfe!«, schrie ich noch einmal und schaute mich im Zimmer nach etwas um, womit ich mich verteidigen konnte. Der Besucherstuhl!
Ich packte ihn bei der Lehne und hob ihn so hoch, dass die Beine in Richtung Sandra zeigten. Wie ein Löwendompteur in einem Zirkus. Er fühlte sich seltsam leicht an.
Sie kam langsam um das Bett herum.
»Es wird nicht weh tun«, sagte sie, und jetzt sah ihr Gesicht fast freundlich aus.
»HIIILFEEEE!«
Verdammt, irgendwer muss mich doch hören!
Sie ging am Fenster entlang auf mich zu, und ich zog mich weiter in die Ecke des Raumes zurück.
»Ich werde gleich morgen aus der Stadt verschwinden«, sagte ich. »Was kümmert das dich? Geh einfach. Es kann dir egal sein, was aus mir wird.«
»Das kann ich nicht tun, Sinna.«
Sie hob die Klinge in die Höhe und setzte zum Sprung an. »Du hast immer noch nicht verstanden, was hier eigentlich vor sich geht. Wer du selbst in Wirklichkeit bist … was du hier alles angerichtet hast, seitdem du angekommen bist.«
»Tu es bitte nicht!«
»Ich muss.«
Sie sprang nach vorne …
»Fallen lassen!«, brüllte da eine Stimme von der plötzlich aufschwingenden Tür her. »Sofort fallen lassen!«
Es war Detective O’Keefe, der dicke Riese. Er hielt eine Pistole in den Händen und zielte damit auf Sandra.
Sie hielt in der Bewegung nach vorne inne, wirbelte zu ihm herum, ohne das Messer zu senken, und …
… er schoss. Eins, zwei, drei Mal!
Seine Pistole spuckte Stichflammen fast quer durch den ganzen Raum.
Die Schüsse zerrissen mir beinahe das Trommelfell.
Sandra wurde von der Wucht der Treffer vom Boden gerissen und nach hinten geschleudert. Das Fenster zerbrach, und sie stürzte nach draußen.
Zehn Minuten später.
Sergeant DiBuono saß auf dem Besucherstuhl neben meinem Bett und betrachtete Sandras Messer, das in einem durchsichtigen Beweisbeutel verpackt war.
O’Keefe war nach unten in den Hof gegangen und kümmerte sich um den Abtransport der Leiche.
»Eigentlich waren wir hierhergekommen, um Sie nach dem Mord an Jane Warner noch einmal wegen des Alibis zu befragen, das Sie Mr Stauffer gegeben haben, Miss Saint«, sagte der hagere Mann. Er wirkte müde – und trotzdem erleichtert. »Aber es sieht ganz so aus, als hätten wir die Täterin auf frischer Tat ertappt.«
Die Spitze des sichelförmigen Messers war noch einmal in sich gebogen – wie ein Reißzahn, und die
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