Blutlust
an.
»Verschwinde«, sagte ich kraftlos. »Hau einfach ab, und lass mich allein.«
»Ich wünschte, das könnte ich.« Das klang ehrlich.
»Kannst du«, sagte ich. »Geh einfach durch die Tür nach draußen.«
»Und dich dir selbst überlassen?« In ihrer Stimme lag Spott. »Du hast bewiesen, dass das nicht geht. Außerdem wäre das nach allem, was geschehen ist, inzwischen zu gefährlich.«
»Ich komme schon klar.«
»Nicht gefährlich für dich«, sagte sie. »Für alle anderen.«
Ich schaute sie fragend an.
Sie deutete auf meinen Hals. »Carla hat dich gebissen.«
»Was geht das dich an?«
»Du verschließt noch immer die Augen vor der Realität.«
Ich stutzte. So etwas Ähnliches hatte auch Carla behauptet.
»Die Wahrheit ist um dich herum, aber du schüttelst einfach den Kopf und redest dir ein, dass das alles nicht sein kann.«
»Ich bin Wissenschaftlerin«, sagte ich trocken. »Ich kann nicht viel anfangen mit Weltuntergangsprophezeiungen, Verschwörungsgefasel oder der Warnung vor Vampiren.«
»Umso mehr verwundert es mich, wie stur du die Fakten ignorierst.«
Sie nahm das Klemmbrett mit meinen Krankendaten vom Haken am Bettfuß.
»Frakturen im rechten Oberschenkel, der rechten Schulter, vier Rippen. Rupturen in der Lunge, der Leber und der rechten Niere. Schürfwunden am ganzen Körper. Bisse im Hals und in der Brust. Wahrscheinlich verursacht von einem großen Hund.«
»Das kann nicht sein«, sagte ich und richtete mich auf.
Da waren keinerlei OP-Narben.
Die Notoperation war doch nur ebenso ein Traum gewesen wie der von der Pyramide in dem Urzeitdschungel .
»Siehst du, du tust es schon wieder.«
»Was?«
»Die Tatsachen ignorieren.«
Sie reichte mir das Klemmbrett, und ich überprüfte die Angaben. Sie hatte nicht gelogen.
»Das muss eine Verwechslung sein«, sagte ich.
»Red dir das nur ein«, lachte sie. »Aber selbst wenn es so wäre … du bist vor gerade mal ein paar Stunden von einem Hummer angefahren worden. Und, fühlst du dich tatsächlich so, als hätte dich ein tonnenschwerer Geländewagen überfahren?«
»Nein«, gab ich zu. »Aber woher weißt du das mit dem Hummer?«
»Ich war da, das weißt du doch. Ich bin immer da.«
»Dann hättest du hören müssen, dass ich im Keller um Hilfe geschrien habe.«
»Hab ich.«
»Warum hast du mir dann nicht geholfen oder die Polizei gerufen?«
»Ich hatte dich vorher gewarnt. Du wolltest meine Hilfe nicht. Das hast du sehr deutlich gesagt.«
»Und warum bist du dann jetzt hier?«
»Weil du entkommen konntest, ohne ihr Blut zu trinken.«
Da ich keine Ahnung hatte, wovon sie sprach, beschloss ich, sie einfach erzählen zu lassen.
Sie seufzte und setzte sich auf den Bettrand. »Wenn ein Vampir einen Menschen beißt, stirbt dieser Mensch entweder, oder er verwandelt sich ebenfalls in einen Vampir«, begann sie.
»Du meinst, ich habe mich in einen Vampir verwandelt?«, fragte ich, und meine Stimme troff geradezu von Ironie und Sarkasmus.
»Unterbrich mich nicht«, sagte sie. »Was ich zu sagen habe, ist wichtig. Du hast selbst erlebt, was alles passiert ist, nur weil du nicht gleich am ersten Tag am Eingang zur Uni auf mich gehört hast.«
Ich schwieg. Sie hatte nicht unrecht. Hätte ich von Anfang auf ihre Warnungen gehört, wäre mir all das erspart geblieben.
»Also, wenn ein Vampir einen Menschen beißt und der das überlebt, verwandelt sich der Mensch ebenfalls in einen Vampir«, wiederholte sie geduldig. »Aber nur, wenn dieser Mensch danach das Blut eines anderen Vampirs trinkt, und zwar freiwillig, bleibt er auch bei Verstand.«
Dass diese Formulierung ausgerechnet von ihr kam, die ganz offensichtlich ihren eigenen Verstand schon lange verloren hatte, hätte mich beinahe laut auflachen lassen. Aber ich wollte hören, was sie zu sagen hatte.
»Wenn nicht«, fuhr sie fort, »wird der Gebissene zu einem irren, hirnlosen Monster. Zu einer Killer-Maschine, die nichts anderes kennt und will als töten und Blut.«
»Was sie in meinen Augen nicht sehr unterscheidet von ganz normalen Vampiren «, lachte ich zynisch.
»Du hast keine Ahnung, Sinna«, sagte Sandra. »Ich rede von einem wirklichen Tier. Ohne jede menschliche Regung. Kein Verstand, nur Instinkte. Töten, töten, töten. Wie ein Werwolf … nur sehr, sehr viel schlimmer und gefährlicher.«
»Hör zu, Sandra«, sagte ich und versuchte, geduldig zu klingen. »Ich glaube, du redest einen Riesenhaufen Mist. Keine Ahnung, wieso ich nicht schwerer verletzt bin.
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