Blutmagie
war, zwischen den Fingern hin und her und fragte sich, ob es Magie oder Wissenschaft war, die es einer Banshee ermöglichte, genug emotionale Energie durch den Edelstein zu ziehen, um jemanden zu töten. Sie ging davon aus, dass es Wissenschaft war. Eine so komplexe Wissenschaft, dass sie wie Magie wirkte. Schwingende Alphawellen oder irgendwas, wie Handys oder Funkwellen. In den Aufzeichnungen hatte sie keine genaue Erklärung gefunden.
Nur vereinzelte Gespräche drangen durch ihre offene Tür, weil es so eine unchristliche Uhrzeit war. Sie arbeitete heute nach den überirdischen Zeiten, weil sie um halb vier eine Verabredung mit einer Banshee hatte, die der I.S. in der Vergangenheit schon einmal geholfen hatte. Dass sie so um Mitternacht hier rauskommen würde, war schön, aber trotzdem war es verdammt früh.
Ihre Laune verfinsterte sich, und sie lehnte sich im Stuhl zurück und lauschte auf die Stille. Die normalen Geräusche erschienen fast fehl am Platz, weil sie nur so vereinzelt erklangen. Die Atmosphäre im Büro hatte sich verändert, und die Blicke, die sie auffing, waren nicht mehr
bitter, sondern mitfühlend. Sie wusste nicht, wie sie darauf reagieren sollte. Offensichtlich hatte es sich herumgesprochen, dass Art einen echten Anlauf auf ihr Blut genommen hatte und sie deswegen nicht nur einen Tatort verunreinigt hatte, sondern sie ihm auch fast erlegen wäre. Und während sie aus Anteilnahme noch einen gewissen Trost hätte ziehen können, verabscheute sie die Vorstellung, dass jemand Mitleid mit ihr hatte. Wie zur Hölle sollte sie Art loswerden, wenn sie nicht Nein zu ihm sagen konnte? Jetzt war es eine Frage des Stolzes.
Ivy hob den Blick zu der summenden Wanduhr. Art war unter der Erde, und das Wissen, dass er noch mehrere Stunden nicht auftauchen würde, verschaffte ihr ein gewisses Maß an Frieden. Sie hätte den Bastard gerne gepfählt. Vielleicht wollte Piscary, dass sie das tat?
Über das Klappern der Tastaturen und den Klatsch hörte sie, wie eine fremde Stimme sanft ihren Namen aussprach. Ivy konzentrierte sich und lauschte, wie jemand eine Wegbeschreibung zu ihrem Büro gab. Sie legte die Träne neben den Becher mit ihren Farbstiften und drehte sich zur Tür um, als sich der Türrahmen verdunkelte.
Sie wollte Hallo sagen, aber dann zögerte sie, während sie die Frau abschätzte. Sie vergaß sogar, sie hereinzubitten. Ivy hatte noch nie eine Banshee getroffen, und sie fragte sich, ob sie alle ein so verstörendes Auftreten hatten oder ob das nur Mia Harbors Art war.
Sie trug ein dramatisches Kleid aus himmelblauen Stoffstreifen, das ihr bis auf die Schenkel fiel. Es hätte gewirkt wie aus Fetzen gebastelt, wäre es nicht aus Seide gewesen. Die Ärmel fielen ihr bis über die Finger, und es schmiegte sich perfekt an die schlanke Figur der Frau. Ihr
kurzgeschnittenes Haar war schwarz, hing ihr in Zacken in die Stirn und hatte goldene Spitzen. Es stand in absolutem Kontrast zu ihrem bleichen Gesicht und dem fast ländlichen Kleid, während es trotzdem irgendwie perfekt dazu passte. Eine dunkle Sonnenbrille verbarg ihre Augen. Sie war klein, zierlich und alterslos attraktiv und gab Ivy das Gefühl, groß und unbeholfen zu sein. In ihrem fein geschnittenen Gesicht stand erst ein fragender Ausdruck, dann müde Akzeptanz.
Ivy ging auf, dass sie starrte. Sofort stand sie auf und streckte die Hand aus. »Ms. Harbor«, sagte sie. »Bitte kommen Sie herein. Ich bin Officer Tamwood.«
Ihre Hand war kühl, voller glatter Stärke, und Ivy ließ sie los, sobald es nach den Regeln der Höflichkeit möglich war. Das Selbstbewusstsein, das sie ausstrahlte, brachte Ivy dazu, sie vom Alter her irgendwo zwischen sechzig und siebzig zu platzieren, aber sie sah aus wie zwanzig. Hexenzauber , fragte sich Ivy, oder natürliche Langlebigkeit?
»Bitte nennen Sie mich Mia«, sagte die Frau, während Ivy auf Arts Stuhl zeigte.
»Mia«, wiederholte Ivy und setzte sich wieder hinter ihren Schreibtisch. Sie erwog, der Frau ebenfalls ihren Vornamen zu nennen, tat es dann aber nicht, während Mia sich mit steifer Förmlichkeit setzte.
Ivy fühlte sich ungewöhnlich unsicher und blätterte durch den Bericht, um ihre Nervosität zu kaschieren. Banshees waren gefährliche Wesen, fähig, genug Energie aus ihren Opfern zu ziehen, um sie damit umzubringen – ein wenig wie psychische Vampire. Sie mussten nicht töten, um zu überleben, weil sie auch von den Emotionen leben konnten, die von den Leuten um sie
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