Blutmond der Templer
voraus fahren. Wie weit sind wir deiner Schätzung noch von Malta entfernt?«
»Zehn Meilen?«
»Das packen wir.«
Ob wir La Valletta direkt erreichen würden, stand in den Sternen. Die Stadt liegt an einer Bucht, die sich tief in das Landesinnere hineinschneidet. Sie besaß ungefähr eine Länge von fünf Kilometern und wurde als Grand Harbour bezeichnet. Es wäre natürlich ideal gewesen, dort anzulegen. Wir jedoch konnten froh sein, wenn wir es überhaupt schafften, gesund und unverletzt an Land zu gehen. Der Wind frischte etwas auf. Rasch wurde das Meer unruhiger. Die Wellen wirkten nicht mehr so langgestreckt.
Sie waren kürzer und hämmerten gegen das Boot, das oft genug auf den Kämmen schaukelte, bevor es wieder in ein Wellental hineinrutschte. Mein Blick glitt in Richtung Süden. Bei Tageslicht hätten wir den Küstenstreifen sicherlich längst gesichtet, aber das dunkle Tuch der Nacht deckte alles zu.
Keine schwarze Wand, die sich aus den grauen Wogen erhob und als Hoffnung anzusehen war.
Bisher hatte sich das silberne Skelett nicht gerührt. Plötzlich aber glitt ein Zucken durch den glänzenden Knochenkörper. Es war wie ein Alarmsignal. Sehr langsam drehte es den Schädel und schaute in eine andere Richtung als ich.
Direkt nach Westen…
Gab es dort etwas Bestimmtes zu sehen? Als ich den Kopf bewegte, hörte ich das Flüstern des Abbés. »John, sie haben uns gesehen…«
Ich konnte sie nicht entdecken, sah jedoch über den Meer und vielleicht 200 Yards entfernt einen dünnen Nebelstreifen, der mit seiner Unterseite an den Wellen festzukleben schien.
Der Nebel stand still. Die Wellen bewegten ihn nicht, ließen ihn nicht schaukeln.
In seinem Innern erkannte ich einen dunklen Umriß, der ebenfalls ruhig lag.
»Was siehst du, John?«
»Nebel, Abbé…«
Der alte Templer lachte. »Das habe ich gedacht. Sie wollen nicht gesehen werden, aber sie werden gesehen.«
Er brauchte mir nichts mehr zu sagen, denn aus dem Nebel löste sich ein Gegenstand.
Das Schiff hatte ich bereits im Würfel des Abbés gesehen. Nun schälte es sich als wuchtiger Umriß aus dem schützenden Grau hervor und änderte seinen Kurs.
Es glitt geradewegs auf uns zu…
***
Nichts war zu hören. Kein Brausen, kein Klatschen der Wellen, auch nicht das Knattern der Fahnen. Das mittelalterliche Schiff schwebte wie ein Geist über das Wasser.
Mir fiel die Geschichte vom Fliegenden Holländer ein, einem Geisterschiff, das schon seit Jahrhunderten über die Meere fährt und sie unsicher macht. Auch dieser Kahn konnte eine gewisse Ähnlichkeit mit dem oft beschriebenen und besungenen Fliegenden Holländer nicht verleugnen. Die Ureinwohner der Insel sollten es geschafft haben, die Grenzen zwischen dem Diesseits und dem Jenseits fließend zu machen, weil sie etwas von Magie verstanden. Dieses Schiff schien mir direkt aus der jenseitigen Spähre gekommen zu sein.
Am Himmel stand nach wie vor der rote Mond, der so intensiv leuchtete, daß seine Strahlen das unheimliche Schiff erreichten und ein rötliches Gespinst darüber legten. Es wurde förmlich davon eingepackt. Die Spannung hielt auch das Skelett umfaßt. Es kniete in einer lauernden Haltung und streckte seinen kahlen Schädel dem näher kommenden Geisterschiff entgegen.
»Wir sollten fliehen«, sagte Suko.
»Es würde uns immer einholen«, widersprach der Abbé.
»Trotzdem müssen wir es versuchen.«
»Dann los«, flüsterte ich. Auch mir war das Ganze mehr als unheimlich. Das Schiff kam verdammt schnell näher. Im Gegensatz zu ihm hockten wir in einer Nußschale. Es wuchs mit jeder vergehenden Sekunde höher vor uns auf. Dunkles, rötlich schimmernde Holz, vermischt mit einem grünlichen Schleier, der auf Verwesung und Moder hinwies, als wäre es nicht aus dem Jenseits, sondern aus den Tiefen des Meeres gekommen.
Suko blieb unser Mann am Ruder. Wir sagten auch nichts, als er den Kurs änderte, um den Geisterkahn zu entkommen. Suko wollte einen großen Bogen fahren.
Nach wie vor zeigte sich keine Wolke am Himmel. Das Firmament blieb blank und glänzte wie eine gemalte Postkarte.
Nur die rote Scheibe stand dort wie ein Ausschnitt und sorgte für das unheimliche magische Flair.
Suko hatte den Kurs gut ändern können. Wir glitten jetzt parallel zu diesem Jenseitsschiff dahin. Über das Schanzkleid hinweg liefen lange Entertaue, die mit ihren Enden in die Wellen klatschten. Von einer Besatzung hatten wir bisher nichts gesehen. Die alten Aufbauten wirkten völlig leer
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