Blutmond der Templer
Irgendwo im Bauch des Schiffes mußten die Mannschaftsräume liegen.
Eine Tür stand offen. Dahinter begann ein Niedergang, den das Skelett als erster betrat. Hector de Valois zeigte keine Furcht, als ersieh in den Bauch des Schiffes begab.
Auch ich schritt über die alten, sehr weich gewordenen Planken, die aber trotzdem hielten.
Der Geruch von Wasser und Seetang spülte in meine Nase. Dazwischen ortete ich auch den Gestank von Verwesung.
Keine Stimme begrüßte uns. Wir stiegen hinunter in den Schiffsbauch und wurden selbst zu tiefschwarzen Schatten, die erst aufhörten, als ich mit der Lampe leuchtete.
Sie hielt ich in den linken, den Würfel aber in der rechten Hand. Ruhig und irgendwie sicher lag er auf meiner Handfläche. Der Lichtfinger erreichte eine Zwischenwand in der sich ein gewaltiges Loch befand. Jemand mußte einfach etwas aus der Wand herausgebrochen haben.
Der Durchgang interessierte mich. Dahinter lag das Quartier der Mannschaft.
Pritschen, mehr nicht. Gegenübergestellt, in Reih und Glied angeordnet, als hätte ein Preuße diesen Kahn gebaut. Und jede Schlafstatt war leer. Nicht einmal Mäuse oder Ratten befanden sich auf dem verdammten Kahn.
Ich drehte mich um. Dicht vor mir stand das Skelett. Auch Hector de Valois starrte in den Schlafraum. In seinen ansonsten leeren Augenhöhlen entdeckte ich so etwas wie Leben. Möglicherweise eine Warnung. Sollte das alte Schiff tatsächlich nicht mehr bewohnt sein? Weder von Geistern noch normalen…
Meine Gedanken wurden unterbrochen. Etwas geschah mit dem Würfel. Zwar lag er noch auf meiner rechten Handfläche, aber er war nicht mehr so tot wie sonst.
Der Würfel vibrierte, als wollte er mir eine Nachricht hinterlassen oder mich auf etwas aufmerksam machen.
Ich schaute tiefer in ihn hinein.
Unruhe hielt ihn erfaßt. Die Bewegung in seinem Innern gefiel mir nicht. Gleichzeitig begann er zu leuchten. Das rote Licht strahlte in den alten Mannschaftsraum hinein.
Dann erschienen sie.
Woher sie kamen, konnte ich nicht sehen. Sie waren da. Durchscheinende, unheimliche Gestalten, gekleidet und bewaffnet wie die Kreuzritter, die früher losgezogen waren, um das Heilige Land zu verteidigen.
Sie waren Geister…
Schlimm sahen sie aus, bestanden aus rötlichem Nebel und trugen ihre Waffen offen.
Schwerter und Lanzen sah ich ebenso wie Morgensterne, diese gefährlichen, mit Spitzen versehenen Kugeln.
Noch tanzten sie als rötlicher Schwärm vor mir, doch sie machten auf mich einen entschlossenen Findruck. Wild und verwegen, kampfbetont, wie ich bald merken sollte, denn sie rückten vor.
Aber das Skelett blieb nicht untätig. Hector de Valois schritt an mir vorbei. Waffenlos ging er auf die geisterhaften Wesen zu — und tauchte hinein.
Ich rechnete damit, daß er sich zum Kampf stellen würde, das tat er nicht. Statt dessen hob er beide Arme, um seine friedlichen Absichten zu bezeugen.
Redete er mit ihnen?
Ich konnte nichts hören, nahm keine Akustik wahr, verstand aber trotzdem etwas, denn der Würfel vermittelte mir seine ›Worte‹. Ich hörte das Jammern der Templergeister und erfuhr, daß sie einem furchtbaren Geheimnis auf die Spur gekommen waren und in den Tod gingen, um nicht sterben zu können. Sie waren die Verfluchten des Blutmondes und gleichzeitig Gefangene einer atlantischen Macht, die dem Blutmond dienten und ihn als ihren höchsten Gott ansahen. Ich stand unbeweglich auf dem Fleck und konzentrierte mich allein auf den Würfel. Er sorgte dafür, daß ich das Gespräch hören und auch die Fragen des Skeletts verstehen konnte.
Hector de Valois wollte wissen, wo die Macht der alten Rasse gestoppt werden konnte.
In dem Totentempel der Insel!
Die Antwort war klar und irgendwie auch einleuchtend. Nur wußten wir noch nicht, weshalb die Templer die Besatzung des Rettungsbootes getötet hatten.
Sie waren es nicht gewesen, sondern die frevelhaften Atlanter. Mit ihren alten, den Göttern geweihten Opfermessern hatten sie die Menschen nach einem bestimmten Ritual getötet, um die Opfer dem Blutmond am Himmel zu weihen.
Hector de Valois wollte auch wissen, was mit den Templern geschehen war, deren Boot wir auch vermißten. Darüber konnten sie keinen Bescheid geben.
Auf mich stürzten in diesen Minuten starke Eindrücke zu. Wieder einmal erlebte ich einen Vorgang, für den es rational keine Erklärung gab. Sinn mußte man in der Magie suchen.
Die Geister der Templer verblaßten allmählich. Auch ich vernahm ihre Stimmen nicht mehr. Sie
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