Blutmond der Templer
hohen Wehrturm überragt wurden. Von der Spitze des Turms fiel der Blick weit über das Meer. Wir wollten dort hin und mit dem Freund des Abbé reden.
»Wie heißt denn dein Bekannter?« fragte Suko.
»Er nennt sich Salazar.«
»Und er leitet das Kloster?«
»Ja.«
Der blinde Abbé schüttelte den Kopf. »Leider sind nur noch wenige Mönche bereit, dieses Leben in dem Kloster hier zu ertragen. Es stirbt allmählich aus.«
»Was machen die Männer denn? Womit beschäftigen sie sich?« hakte Suko nach.
»Sie forschen.«
Der Abbé war einsilbig geworden. Ich hatte noch eine Frage. »Was machen wir mit Hector?« Suko war dafür, ihn im Wagen zu lassen. Ich stimmte zu, auch der Abbé hatte nichts dagegen.
Er wollte seinen Bekannten nicht erschrecken.
Vor einem Tor hielt ich an. Die den Innenhof und die Gebäude umgebenden Mauern waren sehr alt. Man hatte Stein auf Stein gesetzt, allerdings keine großen Quader, sondern mehr flache Steinstücke, die mich an Platten erinnerten.
Darüber wunderte ich mich laut. Der Abbé wußte eine Erklärung. »Diese Anlage ist bewußt so gebaut worden. Man hat sich an den Kultstätten und Tempeln der Ureinwohner orientiert und ahmte ihre Bauweise nach. Es hat geklappt.«
»Das stimmt, obwohl du sie nicht sehen kannst.«
»Ich würde hupen, John«, schlug der Abbé vor.
Dreimal drückte ich auf den Ring. Das Signal unterbrach die friedliche Stille, die über dem Bauwerk lag. Selbst das Rauschen des Meeres kam mir leiser vor. Zudem befanden wir uns an einer der wenigen Stellen der Insel, die keine Steilküste aufwies. Zum Wasser hin mündete das Gelände in einen Strand, dessen Sand im Sonnenlicht gleißte. Jemand öffnete das Tor. Wir sahen die Person nicht, aber sie besaß die Kraft, um das aus dickem Holz gebaute Eingangstor zurückzuschieben. Wir hatten freie Fahrt.
Wenig später rollten wir in den gepflasterten Innenhof. Das Tor wurde wieder geschlossen, wie ich im Rückspiegel erkannte. Ich sah auch den Mönch, derein langes Gewand trug und zum Schutz gegen die Sonne die Kapuze übergestreift hatte.
»Endlich aussteigen«, sagte Suko und öffnete die Tür. Er verließ auch als erster den Wagen, um dem blinden Abbé aus dem Fahrzeug zu helfen. Ich schaute noch immer in den Außenspiegel. Der Mönch oder was immer er sein mochte, näherte sich unserem Wagen mit langsamen, ungewöhnlich schleppenden Schritten, als wäre er kaum noch in der Lage, sich auf den Beinen zu halten. Wahrscheinlich hatte ihn das Öffnen des Tores zu sehr angestrengt. Hinzu kam die Sonne, die in den Hof brannte und die Steine noch weiter aufheizte. Auf ihnen konnte man schon kochen.
Suko half dem Abbé ins Freie. Hector de Valois blieb im Wagen. Ich wollte nicht, daß man ihn zu früh sah.
Ich schloß die Tür und ging auf den Mönch zu. In jeder Hautfalte klebte der Schweiß, ebenso wie in der Kleidung. Alles war naß. Ich sehnte mich nach einem Bad, sah nur den alten Brunnen, der wie ein Zylinder aus Stein vom Boden hochragte.
Der Mann ging noch immer sehr schleppend. Er schien jeden Augenblick schlappzumachen.
Ich lief ihm entgegen. Meine Füße hämmerten über das Pflaster. Die Echos begleiteten mich.
Es war unerträglich heiß. Die Gestalt — so glaubte ich — verschwamm vor meinen Augen. Eine unwirkliche Welt, in die wir hineingebrochen waren. Dann war ich bei ihm.
Er blieb stehen. Unter dem Rand der Kapuze sah ich ein bleiches Gesicht. Der schmerzverzerrte Mund wirkte darin wie eingemeißelt. Plötzlich öffnete er ihn. Blut schoß heraus…
***
Ich war so überrascht, daß ich zur Seite ging, im letzten Augenblick den linken Arm noch ausstreckte und den Mann so abfangen konnte. Schräg blieb er auf der Stütze liegen. Mein Blick fiel auf seinen Rücken. Jetzt war mir klar, weshalb Blut aus seinem Mund geströmt war. Im Rücken steckte ein Messer. Die Klinge war nicht zu sehen. Der Griff endete dort, wo die Kleidung begann.
Ich stand starr und dachte, einen Traum zu erleben. Der Mann hatte sich wie durch ein Wunder noch so lange auf den Beinen halten können, bis wir kamen.
Jetzt war es vorbei.
»John…« Sukos Ruf wehte mir entgegen. Ich gab keine Antwort. Dann hörte ich schnelle Schritte.
Sekunden später stand Suko neben mir. Er atmete schwer, sein Gesicht glänzte, die Augen zeigten einen erschreckten und überraschten Ausdruck. »Das… das darf doch nicht wahr sein!« keuchte er. »Sag, daß es nicht stimmt. Eine Fata Morgana…«
»Es ist wahr, Suko.«
Wir schauten
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