Blutmond - Wilsberg trifft Pia Petry - Kriminalroman
liegt ein nackter Mann auf einer nackten Frau. Sie sind so hingebungsvoll in einen Kuss vertieft, dass sie mich nicht wahrnehmen.
Spätestens jetzt wäre der Zeitpunkt für einen unauffälligen Rückzug gekommen. Doch ich rühre mich nicht von der Stelle, bin gefangen von dieser gespenstischen und zugleich sehr erotischen Szene, spüre eine Faszination, die ich nicht recht einzuordnen weiß. Vielleicht liegt es an diesem Mann, an seinem Körper, der muskulös und verdammt sexy ist, oder an seinen Haaren, die, lang und schwarz, zu einem Zopf geflochten, über seinen Rücken fallen. Von der Frau sehe ich fast nichts, außer ihren Füßen, die klein und zierlich sind, und ihrer linken entblößten Brust, auf der seine Hand ruht. Diese Hand gleitet jetzt langsam nach unten, fährt sacht über ihre helle Haut, bewegt sich an ihrem Nabel vorbei zu ihrem Unterbauch. Der Mann rutscht ein Stück zur Seite, sodass ich einen kurzen Moment die rasierte Scham der Frau erkennen kann, bevor sich seine Hand zwischen ihre Beine schiebt. Die Krümmung seines Mittelfingers und die Bewegungen seiner Hand bleiben nicht ohne Wirkung. Die Frau windet sich, bäumt sich auf und stöhnt so laut, dass ich zusammenzucke und mir siedend heiß bewusst wird, was ich hier gerade tue.
Du bist eine gottverdammte Spannerin, denke ich, du wirst jetzt sofort gehen. Aber ich gehe nicht. Wie festgenagelt stehe ich da, spüre eine Erregung, die ich schon lange nicht mehr gespürt habe. Und da ist auch noch ein anderes Gefühl: Neid. Das letzte Mal, dass ich Sex hatte, war vor drei Monaten und nicht der Rede wert. Aber auch weiter rückblickend kann ich mich nicht erinnern, je in meinem Leben so gestöhnt zu haben. Es sei denn, mein schauspielerisches Talent war gerade gefragt.
Der Mann neigt den Kopf jetzt leicht zur Seite und ich kann das Gesicht der Frau sehen: asiatische Züge, geschlossene Augenlider, schwarz geschminkter Mund und Blut. Hellrotes Blut, das von einer Schnittverletzung auf ihrer Oberlippe stammt und auf ihrem Kinn und ihrer Wange schlierige Streifen hinterlassen hat. Erschrocken trete ich einen Schritt zurück und sehe dabei in den Spiegel. Sehe mich in diesem lächerlichen Outfit und sehe einen Mann, der direkt neben mir steht. Romeo! Unsere Blicke treffen sich. Er lächelt unsicher, hat dabei aber ein Glitzern in den Augen, das mir nicht gefällt. Vor Verlegenheit bekomme ich einen roten Kopf und weiß nicht, was mir peinlicher ist: die Tatsache, dass ich mich in diesem Club aufhalte, dass ich halb nackt durch die Gegend laufe oder dass ich mich dabei erwischen lasse, wie ich Liebespaare bei ihren Sexspielen beobachte.
»Darf ich Sie zu einem Glas Sekt einladen?«, fragt Romeo.
Das ist zu viel des Guten.
»Wirklich nicht«, zische ich ihn an und mache, dass ich Land gewinne.
2
Wilsberg sieht einen ungezogenen Mann mit Pampers
Dann eben nicht, dachte ich und schaute der Frau hinterher, die mit kleinen, wütenden Schritten davonstöckelte. Vielleicht war Sekt das falsche Wort gewesen. Möglicherweise verband man in diesen Räumen damit Praktiken, die nichts mit gepressten und gegorenen Trauben zu tun hatten. Andererseits machte sie keinen sehr erfahrenen Eindruck, eher wirkte sie neu, fremd und unsicher. Und gerade das hatte mich, abgesehen von ihrem Äußeren, an ihr gereizt.
Während ich darüber nachdachte, dass sie auch eine eifersüchtige Ehefrau sein konnte, die herausfinden wollte, von wem sich ihr Mann auspeitschen ließ, spürte ich, dass ich beobachtet wurde. Ich drehte mich um und sah in die schwarzen Augen der Asiatin. Zweifellos hatte sie unsere kleine Szene verfolgt. Spöttisch verzog sie den blutverschmierten Mund. Während sie die Berührung ihres zopfhaarigen Partners genoss, schien sie sich über meine Niederlage zu amüsieren. Unwillkürlich fühlte ich mich in einen Dracula-Film versetzt, in die Rolle des harmlosen Passanten, der Knoblauch und Kruzifix vergessen hatte.
Als hätte er gemerkt, dass sie ihm ihre Aufmerksamkeit entzogen hatte, drehte sich der Mann um und schaute mich ebenfalls an. Das Blut, das auf seinen Lippen klebte, war ihres, doch als er den Mund öffnete und etwas Metallisches auf seiner Zunge schimmerte, wurde mir klar, dass er sie nicht einfach nur gebissen hatte.
»Kommen Sie ruhig näher!«, sagte der Vampir mit einer tiefen, nicht unfreundlichen Stimme.
»Nein. Danke!«, erwiderte ich. »Ich wollte gerade gehen.«
Ich schlenderte langsam über den Flur. An diesem
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