Blutmond - Wilsberg trifft Pia Petry - Kriminalroman
Verletzungen zu erkennen.«
»Das waren Unfälle.«
»Ungewöhnlich viele. Einige deuten ebenfalls auf Schnittwunden hin, andere dagegen ...«, ich zögerte, »... eher auf Peitschenhiebe.«
»Sie haben eine rege Fantasie, Herr Doktor.«
Ich hielt ihrem Blick stand. »Ich glaube die Geschichte nicht, die Sie bei Ihrer Einlieferung erzählt haben. Dass Sie sich die Schnitte selbst beigebracht haben. Ich denke, Sie sind das Opfer eines sadomasochistischen Spiels, das außer Kontrolle geraten ist.«
Ihre Mundwinkel zuckten spöttisch. »Und wenn es so wäre?«
»Müssten wir die Polizei informieren. Dann handelt es sich nämlich um gefährliche Körperverletzung, wenn nicht sogar um versuchten Totschlag oder Mord.«
»Sie haben ja keine Ahnung, wovon Sie reden.« Schmerzen verzerrten ihr Gesicht, als sie sich mühsam aufrichtete. »Wissen Sie, mit wem Sie es zu tun haben? Mein Vater ist Alfons Meyerink.«
»Auch wenn Sie mit der Königin von England verwandt wären ...«
»Das Gespräch ist beendet. Gehen Sie! Und zwar sofort!« Sie ließ sich ins Bett zurückfallen und drückte auf die Klingel über ihrem Kopf.
Da ich nicht unbedingt einer Krankenschwester begegnen wollte, hatte ich den Rückzug angetreten. Nachdem ich das Krankenhaus verlassen hatte, merkte ich, dass mein Kiefer schmerzte, weil ich immer noch die Zähne zusammenbiss. In den fast zwanzig Jahren, die ich als Privatdetektiv arbeitete, war ich vielen Opfern von Gewaltverbrechen begegnet. Aber selten einem, mit dem ich weniger Mitleid gehabt hatte als mit Renate Averbeck.
Ich schaute in den Rückspiegel und sah die Frau im Porsche nicht mehr. Na also. Mit einer für Stoßdämpfer mörderischen Fahrt über Kopfsteinpflaster und Bodenschwellen hatte ich sie abgehängt. In gemächlichem Tempo umrundete ich einen Ententeich, vorbei an den schönsten Villen des Viertels.
Am Ende der Straße wartete der Porsche in einer Parklücke. Allmählich ging mir die Verfolgungsjagd auf die Nerven.
Ich dachte gerade darüber nach, ob ich nicht anhalten und meine Verfolgerin zur Rede stellen sollte, als mir ein Schwarm Fahrradfahrer zu Hilfe kam. Laut hupend fuhr ich auf dem Bürgersteig an den Fahrrädern vorbei, was mir wütende Proteste und ein paar Tritte gegen die Stoßstange einbrachte. Gegen die derart stimulierten Autohasser hatte der Porsche dann keine Chance mehr. Amüsiert verfolgte ich im Rückspiegel, wie sich die Fahrradfahrer noch breiter machten und der Frau im Porsche mit eindeutigen Handzeichen zu verstehen gaben, was sie von eventuellen Überholversuchen hielten.
Das Verwaltungsgebäude der Meyerink & Co. KG stand auf der Loddenheide, dem ehemaligen Gelände der britischen Kasernen, ein zehnstöckiger, runder Turm mit gläserner Fassade. Jochen Averbeck residierte im zehnten Stock. Ich hatte mich telefonisch angemeldet und musste nur zehn Minuten warten, bis mir die Sekretärin den Zutritt zum Büro ihres Chefs gestattete.
»Ich habe nicht viel Zeit«, sagte Averbeck zur Begrüßung.
»Ich schon«, erwiderte ich. Was Höflichkeit anging, schienen Averbeck und seine Frau auf einer Wellenlänge zu liegen.
Der Leiter der Geschäftsführung stutzte. Ich schätzte ihn auf knapp über vierzig. Sein von intensiven Kontakten mit der Sonnenbank braun gebranntes Gesicht hatte keine Ecken und Kanten. Es war glatt und richtig proportioniert. Mit seinen dunkelblauen Augen, die einen schönen Kontrast zum blondierten vollen Haar bildeten, erzielte er wohl bei den meisten Mitteleuropäerinnen zwischen zwanzig und achtzig einen durchschlagenden Erfolg. Der selbstgefällige Ausdruck, der in diesen Augen lag, ließ darauf schließen, dass das für ihn keine Neuigkeit war. Dazu passte, dass in seinem italienischen Maßanzug ein durchtrainierter Körper steckte. Jochen Averbeck behielt gern die Kontrolle, über sich und über andere.
»Dass ich mit Ihnen rede, verdanken Sie einzig und allein Manfred Heusken, der mich darum gebeten hat. Ich lege keinen Wert darauf, dass der Vorfall im Club öffentlich breitgetreten wird.«
»Ich weiß«, sagte ich.
Mit einer gereizten Handbewegung deutete er auf eine lederne Sitzgruppe neben der Glasfront. Der Ausblick war nicht atemberaubend. Die Loddenheide war nach dem Abzug der Briten als Gewerbegebiet erschlossen worden. Abgesehen von ein paar zweckmäßigen Bauten und etlichen Baustellen gab es nicht viel zu sehen.
»Erzählen Sie mir einfach Ihre Version!«, schlug ich vor.
»Das Wesentliche werden Sie ja
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