Blutmord (Ein Paula Franz und Max Dörner Krimi)
einem Lachen abwinkte, bemerkte sie doch, wie er aufblühte und sich immer weiter aufspielte, sobald Jana an seinen Lippen hing. In diesen Momenten zählte nur er, alles andere war für Jana vergessen. Wie sie ihn anschaute, voller Bewunderung. Konnte oder wollte sie nicht verstehen, dass er zu ihr gehörte und niemals in diesem Leben zu Jana? Mit jedem Schritt wuchs ihre Wut auf diese Hure, die sich so lächerlich machte. Sie schaute kurz nach oben, gleich würden sie die Kurve erreichen. Sie näherte sich Jana noch ein kleines bisschen, ohne dass Jana es überhaupt wahrnahm. Diese blickte verkrampft auf den Boden. Litt sie etwa unter Höhenangst?, fragte sie sich schadenfroh. Sie hoffte, dass Jana jetzt schon Höllenqualen litt. Warte ab, es kommt noch besser, dachte sie sich. Noch zwei Schritte, noch ein Schritt. Sie blickte kurz nach vorne, vergewisserte sich, dass alle anderen konzentriert auf den Weg starrten, dann machte sie einen etwas größeren Ausfallschritt, schnitt einmal Janas Fuß und sah, wie diese stolperte, sich dabei hilflos nach ihr umdrehte, den Arm ausstreckte und über den Abgrund glitt. Schnell machte sie einen Schritt auf die Klippe zu und schrie „Nein, Jana, nein. Schnell. Es ist etwas Schreckliches passiert.“ Doch leider kam für Jana jede Hilfe zu spät.
Teil I
Kapitel 1
Paula Franz schaute der Frau, die ihr gegenüber saß, ins Gesicht, ohne sie wirklich wahrzunehmen. Ihr Blick wanderte zu der großen Uhr, die hinter der Frau an der Wand hing. Noch 20 Minuten dauerte ihre Therapiesitzung. Sie schwiegen beide. Ihre Therapeutin wartete darauf, dass Paula ihr eine Antwort gab. Die Frage hatte Paula inzwischen vergessen. Heute war einer dieser Tage, an denen sie am liebsten im Bett geblieben und gar nicht aufgestanden wäre. Drei Monate waren vergangen, seitdem sie - gemeinsam mit ihrem Partner, Kriminalhauptkommissar Max Dörner - den „SELBST-Mörder-Fall“ gelöst hatte. Seit genau dieser Zeit war sie nun schon vom Dienst beurlaubt und musste regelmäßig Therapiesitzungen wahrnehmen. Hatte sie früher eine Therapie trotz ihrer Neigung zu Depressionen grundsätzlich abgelehnt, musste sie mittlerweile zugeben, dass es ihr durch die Gespräche mit der Therapeutin deutlich besser ging. Die Therapie half ihr dabei, ihre Schuld zu mindern und das Geschehene zu verarbeiten. Wenn auch aus Notwehr, sie hatte den SELBST-Mörder erschossen und somit einen Menschen getötet. Auch den Tod ihres Neffen Fynn konnte sie, dank der Therapie, inzwischen akzeptieren. Überwunden hatte sie den Schmerz noch lange nicht. Sie konnte kaum an Fynn denken, ohne dass ihre Stimme brüchig wurde und ihr Tränen in die Augen schossen. Er war ihr ein und alles gewesen, sein Tod durch einen Autounfall hatte bei ihr einen Nervenzusammenbruch hervorgerufen. Es war einfach zu viel gewesen: Sie konnte über ihren Verlust nicht sprechen, ihn nicht verarbeiten. Als der SELBST-Mörder sie mit seiner einschmeichelnden Stimme beinahe selbst in den Selbstmord getrieben hatte - so wie er es zuvor mit mehreren verzweifelten jungen Menschen geschafft hatte - musste sie handeln. Zum Glück hatte sie ein Mädchen vor dem Tod retten können. Immerhin eins. Liliane war inzwischen in der Obhut einer Pflegefamilie in Sicherheit und wurde psychologisch betreut. Paula hatte sie schon mehrfach besucht. Diese Nacht würde sie für immer miteinander verbinden.
Paula stutzte und sah ihre Therapeutin fragend an.
„Ich habe gefragt, ob es Ihnen inzwischen leichter fällt, sich gegenüber Ihrer Lebensgefährtin Anne zu öffnen und über Ihre Gefühle zu sprechen, insbesondere bezüglich Ihres persönlichen Verlustes?“
Paula verfiel wieder in eine gedankliche Starre. Nach einigen Minuten schüttelte sie den Kopf. „Nein, gerade mit Anne kann ich im Moment kaum kommunizieren. Ich weiß nicht, woran das liegt. Ich kann mich ihr einfach nicht mitteilen, was sicherlich größtenteils an mir liegt. Ich mache ihr keine Vorwürfe. Ich hoffe, dass es mir insgesamt bald besser geht, wenn ich nächste Woche wieder arbeiten kann. Die Arbeit fehlt mir, so bin ich nur ein halber Mensch. Ich hoffe, dass sich alles andere dann auch ergibt.“ Ihr Blick suchte wieder die Uhr an der Wand. Noch fünfzehn Minuten verblieben ihr bis zum Ende der Sitzung.
„Wem in Ihrem näheren Umfeld fühlen Sie sich denn so eng verbunden, dass Sie über Ihre Gefühle sprechen können?“
Paula dachte nach. Unwillkürlich musste sie an Johanna, die seit einem dreiviertel
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