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Blutmusik

Blutmusik

Titel: Blutmusik Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Greg Bear
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Jahre eine
Frau sein und selbst sehen, wie es ist.«
    Die Morgensonne schien durch die Gardinen am Küchenfenster
und füllte die Küche mit gedämpfter, freundlicher
Wärme. »Manchmal benimmst du dich, als ob ich eine
Ziegelmauer wäre«, sagte Vergil.
    »Manchmal bist du so. Lieber Himmel, Vergil, du bist mein
Sohn. Ich gab dir das Leben – ich glaube, wir können Franks
Beitrag außer acht lassen –, und ich sehe dich seit
zweiunddreißig Jahren älter werden. Du bist nie erwachsen
geworden, und an Feingefühl hat es dir schon immer gefehlt. Du
bist ein kluger Junge, aber du bist einfach nicht
vollständig.«
    »Und du«, sagte er mit einer Grimasse, »bist ein
tiefer Quell von Hilfe und Verständnis.«
    »Ärgere die alte Frau nicht, Vergil. Ich verstehe und
sympathisiere, soviel du verdienst. Du sitzt tief in der Tinte, nicht
wahr. Dieses Experiment.«
    »Ich wünschte, du würdest nicht darauf herumreiten.
Ich bin der Wissenschaftler, und ich bin der einzige Betroffene, und
bisher…« Er klappte den Mund hörbar zu und
verschränkte die Arme. Es war alles verrückt. Die
Lymphozyten, die er sich injiziert hatte, waren jenseits allen
Zweifels inzwischen abgestorben oder altersschwach. Sie waren unter
Laborbedingungen verändert und in Reagenzgläsern gehalten
worden, hatten wahrscheinlich einen ganz neuen Satz histokompatibler
Antigene entwickelt und waren mit großer Wahrscheinlichkeit
schon vor Wochen von ihren unveränderten Artgenossen angegriffen
und verschlungen worden. Jede andere Annahme entbehrte der Vernunft.
Was er letzte Nacht erlebt hatte, war einfach eine komplexe
allergische Reaktion gewesen. Warum ausgerechnet er und seine Mutter
die Möglichkeit diskutieren sollten…
    »Vergil?«
    »Es war schön bei dir, Mutter, aber ich glaube, es ist
Zeit, daß ich gehe.«
    »Wie lang hast du noch?«
    Er stand auf und starrte sie erschrocken an. »Ich bin nicht
am Sterben, Mutter.«
    »Sein ganzes Leben lang hat mein Sohn für diesen
höchsten Augenblick gearbeitet. Mir scheint, daß er
gekommen ist, Vergil.«
    »Das ist völlig verrückt.«
    »Ich gebe zurück, was du mir gesagt hast, Junge. Ich bin
kein Genie, aber ich bin auch keine Ziegelmauer. Du erzählst
mir, du habest intelligente Keime gezüchtet, und ich sage dir,
auch wenn du es nicht hören willst: Wer einmal eine Toilette
gesäubert oder einen Abfalleimer mit Windeln gereinigt hat,
würde vor der Idee, daß es Keime gibt, die denken
können, zurückschrecken. Was geschieht, wenn sie
aufsässig werden, Vergil? Sag das deiner alten Mutter.«
    Es gab keine Antwort. Er war nicht einmal sicher, daß ihre
Diskussion einen vernünftigen Gegenstand hatte; nichts ergab
einen Sinn. Aber er spürte, wie sein Magen sich zusammenzog.
    Er hatte dieses Ritual früher schon zelebriert, war in
Schwierigkeiten geraten und dann zu seiner Mutter gekommen,
unbehaglich und unsicher, ohne recht zu wissen, von welcher Art seine
Schwierigkeiten waren. Mit unheimlicher Regelmäßigkeit
schien sie jedesmal auf eine höhere Argumentationsebene zu
springen und seine Probleme zu identifizieren und vor ihm
auszubreiten, daß sie unausweichlich wurden. Dies war nicht ein
Dienst, der seiner Liebe zu ihr förderlich war, aber er machte
sie für ihn wertvoll.
    Er beugte sich vor und tätschelte ihr die Hand. Sie drehte
die Hand herum und ergriff die seine. »Du gehst jetzt«,
sagte sie.
    »Ja.«
    »Wie lang haben wir noch, Vergil?«
    »Was?« Er konnte es nicht verstehen, aber auf einmal
füllten sich seine Augen mit Tränen, und er begann zu
zittern.
    »Komm zurück zu mir, wenn du kannst!« sagte
sie.
    Entsetzt ergriff er seinen Koffer – am Vorabend gepackt
– und rannte die Stufen runter zum Volvo, riß den
Kofferraum auf und warf ihn hinein. Er lief um den Wagen und
stieß sich das Knie an der hinteren Stoßstange. Schmerz
fuhr stechend durch das Bein, ließ dann rasch nach. Er stieg
ein und startete den Motor.
    Seine Mutter stand auf der überdachten Veranda. Ihr seidenes
Gewand wehte in der leichten Morgenbrise, und Vergil winkte ihr zu,
als er anfuhr. Normalität. Wink deiner Mutter zu! Fahre
davon!
    Fahre davon, mit dem Wissen, daß dein Vater niemals
existierte und daß deine Mutter eine Hexe war, und was das aus
dir machte.
    Er schüttelte den Kopf, bis ihm die Ohren dröhnten, und
brachte es irgendwie fertig, den Wagen auf geradem Kurs zu
halten.
    Ein weißer Striemen zog sich über den linken
Handrücken, wie ein mit Pflanzenschleim auf die Haut

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