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Blutmusik

Blutmusik

Titel: Blutmusik Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Greg Bear
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nicht länger. Er war zu
schwach, mit den Augen zu zwinkern, also schloß er sie und
wartete.
    Ein Rhythmus war in seinen Armen, seinen Beinen. Mit jedem
Pulsschlag durchwogte ihn eine Art Klang, als ob ein Orchester von
Tausenden Musikern spielte, aber nicht im Gleichklang; als ob sie
verschiedene Symphonien oder Sätze daraus gleichzeitig spielten.
Musik im Blut. Die Empfindung wurde koordinierter; die Klangfolgen
verloren sich schließlich in Stille, lösten sich auf in
harmonische Pulsschläge.
    Das Pochen seines eigenen Herzens.
    Keiner von ihnen hatte ein Gefühl für den Ablauf der
Zeit. Tage konnten vergangen sein, bevor er genug Kraft aufbrachte,
zum Wasserhahn ins Badezimmer zu wanken. Er trank, bis sein Magen
nicht mehr fassen konnte, und kehrte mit einem Glas Wasser
zurück. Er hob ihren Kopf mit dem Arm, berührte Gails
Lippen mit dem Rand des Glases. Sie nippte am Wasser. Ihre Lippen
waren aufgesprungen, die Augen blutunterlaufen und die Pupillen
umrandet mit gelblichen, körnigen Strukturen, aber ihre Haut
hatte wieder etwas Farbe. »Wann werden wir sterben?« fragte
sie, ihre Stimme ein mattes Krächzen. »Ich möchte dich
festhalten, wenn wir sterben.«
    Wenig später war er stark genug, ihr in die Küche zu
helfen. Er schälte eine Orange und teilte sie mir ihr, er
schmeckte den Zucker und den Saft und die Säure in der Kehle.
»Wo sind alle?« fragte sie. »Ich rief
Krankenhäuser und Freunde an. Wo sind sie?«
    Die harmonische, orchestrale Empfindung kehrte wieder, die
Herzschläge koordinierten sich zu rhythmischen Fragmenten, diese
verschmolzen, gewannen eine Bedeutung, und auf einmal -
    Tritt UNWOHLSEIN auf?
    - Ja.
    Er antwortete automatisch und gleichfalls in Gedanken, als
hätte er den Austausch erwartet und sei bereit für ein
langes Gespräch.
    GEDULD. Es gibt Schwierigkeiten.
    - Was? Ich verstehe nicht.
    »Immunreaktion«. »Konflikt«.
Schwierigkeiten.
    - Dann verlaßt uns! Geht fort!
    Nicht möglich. Zu sehr INTEGRIERT.
    Sie erholten sich nicht, nicht in dem Maße, daß sie
von der Infektion frei gewesen wären. Jedes Gefühl
wiederkehrender Freiheit war illusorisch. Sehr knapp und darauf
beschränkt, was seine Kräfte zuließen, versuchte er
Gail zu erklären, was sie seiner Meinung nach erlebten.
    Sie stützte sich auf die Stuhllehne, stand auf und ging
langsam und unsicher zum Fenster, wo sie auf wankenden Beinen stand
und auf die Grünanlage und andere Reihen von Wohnhäusern
hinausblickte. »Was ist mit den anderen Leuten?« fragte
sie. »Haben die es auch? Sind sie deshalb nicht
gekommen?«
    »Ich weiß es nicht. Wahrscheinlich bald.«
    »Sind sie… die Krankheit? Spricht sie zu dir?«
    Er nickte.
    »Dann bin ich nicht verrückt.« Langsam tappte sie
durch das Wohnzimmer. »Ich werde mich nicht mehr lange bewegen
können«, sagte sie. »Wie ist es mit dir? Vielleicht
sollten wir versuchen zu fliehen.«
    Er nahm ihre Hand und schüttelte den Kopf. »Sie sind
innen, inzwischen Teil von uns. Sie sind wir. Wohin könnten wir
fliehen?«
    »Dann möchte ich mit dir im Bett sein, wenn wir uns
nicht mehr bewegen können. Und ich möchte, daß du die
Arme um mich legst.«
    Sie legten sich wieder aufs Bett und hielten einander in den
Armen.
    »Eddie…«
    Es war das letzte Geräusch, das er hörte. Er versuchte
zu widerstehen, aber Wellen des Friedens überrollten ihn, und er
konnte nur erfahren. Er trieb auf einer weiten, blauvioletten See.
Über der See wurde sein Körper auf eine scheinbar
grenzenlose Fläche gezeichnet. Die Bemühungen der Noozyten
wurden dort in einer Art Diagramm erfaßt, und er hatte keine
Schwierigkeiten, ihren Fortschritt zu verstehen. Es war
offensichtlich, daß sein Körper jetzt mehr Noozyt als
Milligan war.
    Was wird mit uns geschehen?
    Nicht mehr BEWEGUNG.
    - Sterben wir?
    Veränderung.
    - Und wenn wir uns nicht verändern wollen?
    Kein SCHMERZ.
    - Und Furcht? Ihr werdet uns nicht einmal erlauben, daß wir
uns fürchten?
    Die blauviolette See und das Diagramm lösten sich in warme
Dunkelheit auf.
    Er hatte viel Zeit, die Dinge zu durchdenken, aber nicht
annähernd genug Information. War es dies, was Vergil erfahren
hatte? Kein Wunder, daß er den Eindruck gemacht hatte,
verrückt zu werden. Begraben in einer inneren Perspektive, weder
an einem Ort noch an einem anderen. Er spürte eine Zunahme der
Wärme, eine Nähe und zwingende Gegenwart.
    - Edward…
    - Gail? Ich kann dich hören – nein, nicht hören
-
    - Edward, ich sollte entsetzt sein. Ich möchte

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