Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Blutmusik

Blutmusik

Titel: Blutmusik Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Greg Bear
Vom Netzwerk:
Gefahr
verantwortlich sein. Also bot er sich dem modernsten pharmazeutischen
Forschungsunternehmen Europas als Versuchsperson und Musterexemplar
an.
    Bernards Verstand arbeitete so, daß er niemals von schweren
Zweifeln oder nachträglichen Sinnesänderungen geplagt war
– jedenfalls nicht in seiner Arbeit. Befand er sich in einer
Notlage oder schwierigen Situation, fiel ihm immer rechtzeitig eine
Lösung ein, gewöhnlich die richtige. Die
Reservelösungen warteten im Hintergrund seiner Gedanken,
unbewußt und unaufdringlich, während er handelte. So war
es immer im Operationssaal gewesen, und so war es jetzt. Er
betrachtete diese Fähigkeit nicht ohne einigen Verdruß,
ließ sie ihn doch bisweilen als eine Art Roboter erscheinen,
selbstsicher und zuversichtlich jenseits aller Vernunft. Aber sie war
für seinen Erfolg verantwortlich gewesen, hatte ihm zu seinem
Ruf in der neurophysiologischen Forschung und der Achtung verholfen,
die ihm von Professorenkollegen und Öffentlichkeit
entgegengebracht wurde.
    Er kehrte zurück in den Konferenzraum und nahm seine
Aktentasche mit sich. Sein Wagen wartete auf dem Firmenparkplatz, wo
der Chauffeur las oder mit einem Taschencomputer Schach spielte.
»Wenn Sie mich brauchen, können Sie mich in meinem
Büro erreichen«, sagte Bernard zu Harrison. Yng stand vor
der leeren Wandtafel, die Hände auf dem Rücken.
    »Ich habe eben die Gesundheitsbehörde angerufen«,
sagte Harrison. »Man wird uns Instruktionen geben.«
    Bald würde jedes Krankenhaus in der Gegend unterrichtet sein.
Wie lange würde es dauern, bis sie die Schließung der
Flughäfen anordneten? Wie effizient waren sie? »Lassen Sie
mich dann wissen, was angeordnet wird«, sagte Bernard. Er ging
hinaus und überlegte flüchtig, ob er noch etwas mitnehmen
mußte. Vermutlich nicht. Er hatte Kopien von Ulams Floppy
Discettes in seiner Aktentasche. Und er hatte Ulams Organismen in
seinem Blut.
    Das würde sicherlich ausreichen, ihn einstweilen zu
beschäftigen.
    Leute? Gab es welche, die er warnen sollte?
    Eine seiner drei Exfrauen? Er wußte nicht einmal, wo sie
jetzt lebten. Seine Buchhalterin schickte ihnen die Alimentenschecks.
Es gab keine praktische Möglichkeit…
    Einen Menschen, an dem ihm wirklich lag? Dem auch er etwas
bedeutete?
    Er hatte Paulette zuletzt im März gesehen. Der Abschied war
freundschaftlich gewesen. Alles war freundschaftlich gewesen. Sie
waren umeinander gekreist wie Mond und Erde, ohne sich wirklich
nahezukommen. Paulette hatte Einwände dagegen erhoben, der Mond
zu sein, und völlig zu Recht. Sie hatte es in ihrer eigenen
Karriere weit gebracht und war Leiterin der Abteilung Zytotechnologie
in der Cetus Corporation in Palo Alto.
    Nun, da er darüber nachdachte, fiel ihm ein, daß es
wahrscheinlich diejenige gewesen war, die Harrison von der Genetron
seinen Namen empfohlen hatte. Nach ihrer Trennung. Ohne Zweifel hatte
sie gedacht, sie sei sehr großzügig, und objektiv, indem
sie allen Beteiligten half.
    Er konnte ihr keinen Vorwurf daraus machen. Aber es gab nichts in
ihm, was ihn drängte, sie anzurufen, zu warnen.
    Es war einfach nicht praktisch.
    Von seinem Sohn hatte er seit fünf Jahren nichts gehört.
Er war mit einem Forschungsauftrag irgendwo in China.
    Er schlug sich den Gedanken aus dem Kopf.
    Vielleicht brauche ich nicht einmal eine Isolationskammer, dachte
er bei sich. Ich bin bereits stärker isoliert als mir
bewußt war.

 
17
     
    Sie waren dem Tode nahe. Innerhalb von Minuten war Edward zu
schwach, sich zu bewegen. Er hörte, wie Gail seine Eltern
anrief, verschiedene Krankenhäuser, ihre Schule. Sie war
außer sich vor Angst, daß sie womöglich ihre
Schüler infiziert hatte. Er stellte sich vor, wie die Nachricht
sich in Windeseile ausbreitete. Die Panik. Aber Gail wurde bald
langsamer, klagte über Schwindelgefühl und legte sich neben
ihn aufs Bett.
    Sie versuchte sich aufzurappeln, wie ein Pferd, das gestürzt
ist und sich ein Bein gebrochen hat, wieder hochzukommen sucht, aber
die Anstrengung war nutzlos.
    Mit ihrer letzten Kraft kam sie zu ihm, und sie hielten einander
in den Armen, schweißgebadet. Gails Augen waren geschlossen,
ihr Gesicht hatte die Farbe von Talkum. Sie glich einem Leichnam in
der Aussegnungskapelle. Eine Weile dachte Edward, sie sei tot, und
krank wie er war, wütete er gegen sich selbst, haßte sich
selbst, niedergedrückt von Schuldgefühlen wegen seiner
Schwäche, seiner Langsamkeit, die Möglichkeiten zu
verstehen. Dann kümmerte es ihn

Weitere Kostenlose Bücher