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Blutmusik

Blutmusik

Titel: Blutmusik Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Greg Bear
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hätte ergreifen
müssen. Wenn Ulam andererseits diese Sicherheitsvorkehrungen
getroffen hätte, wäre er niemals in der Lage gewesen, seine
Arbeit zu vollenden.
    Niemand hätte es erlaubt.
    Und Michael Bernard kannte nur zu gut die Enttäuschung und
Frustration, im Verfolg einer aussichtsreichen Forschungsarbeit
behindert oder blockiert zu werden. Er hätte Tausende, die an
der Parkinsonschen Krankheit litten, heilen können – wenn
ihm nur erlaubt worden wäre, Gehirngewebe von abgetriebenen
Embryonen zu sammeln. Statt dessen hatten die Leute mit und ohne
Gesichter in ihrem moralischen Eifer nicht nur erreicht, daß er
seine Versuche aufgeben mußte, sondern auch zugelassen,
daß Tausende von Kranken weiterhin leiden mußten. Wie oft
hatte er gewünscht, daß die junge Mary Shelley niemals ihr
Buch geschrieben hätte, oder daß sie wenigstens darauf
verzichtet hätte, einen deutschen Namen für ihren
Wissenschaftler zu wählen. All die Verkettungen des frühen
neunzehnten mit der Mitte des zwanzigsten Jahrhunderts, die in den
Gehirnen der Menschen zusammenliefen…
    Ja, ja, und hatte er nicht soeben Ulam wegen seiner Brillanz
verflucht, und war ihm nicht derselbe Vergleich in den Sinn
gekommen?
    Frankensteins Ungeheuer. Unvermeidlich. Langweilig
offensichtlich.
    Die Menschen fürchteten sich so sehr vor dem Neuen, vor
Veränderung.
    Und nun fürchtete auch er sich, obgleich er zugab, daß
seine Furcht begründet war. Am besten gab er sich rational,
stellte sich zum Studium zur Verfügung, ein unbeabsichtigtes
Menschenopfer wie Dr. Louis Slotin 1946 in Los Alamos. Slotin und
sieben andere, die an der Entwicklung der amerikanischen
Atomrüstung mitgearbeitet hatten, waren durch einen
Betriebsunfall einem jähen Ausbruch ionisierter Strahlung
ausgesetzt worden. Slotin hatte die sieben anderen angewiesen, sich
nicht zu bewegen. Dann hatte er Kreise um seine und ihre
Füße gezogen, um anderen Wissenschaftlern brauchbare Daten
über Entfernung von der Quelle und Strahlungsintensität zu
geben, auf denen sie ihre Untersuchungen aufbauen konnten. Slotin war
neun Tage später gestorben. Ein zweiter Beteiligter starb nach
zwanzig Jahren an Komplikationen, die der Strahlung zugeschrieben
wurden. Zwei weitere starben an akuter Leukämie.
    Menschliche Versuchstiere. Selbstbeherrschter Slotin.
    Hatten sie in jenen schrecklichen Augenblicken gewünscht,
daß niemand jemals das Atom gespalten hätte?
    Pharmek verfügte über eine eigene Landepiste zwei
Kilometer entfernt von ihrem Forschungszentrum außerhalb
Wiesbadens, um Geschäftsleute und Wissenschaftler aus aller
Herren Länder zu empfangen und den Erhalt und die Verarbeitung
von Pflanzen- und Bodenproben, die von Forschungsgruppen überall
in der Welt eingesandt wurden, zu beschleunigen. Bernard kreiste in
dreitausend Metern Höhe über dem Streifenmuster der Felder,
Wiesen und Wälder, während das Morgengrauen den Osthimmel
bleichte.
    Er schaltete die Funkpeilung auf das automatische Landesystem und
aktivierte zweimal das Mikrofon, um die Platzbeleuchtung
einzuschalten. Der Landestreifen mit seinen Lichtern erschien unter
ihm im trüben Grau des frühen Morgens. Ein Pfeil von
Lichtern auf einer Seite zeigte die Windrichtung an.
    Bernard folgte den Lichtern und Anweisungen des Landessystems,
fühlte das Aufsetzen und Quietschen der Räder auf dem Beton
der Landepiste, gefolgt von dumpf rumpelndem Ausrollen. Eine perfekte
Landung, die letzte, die das schnittige Düsenflugzeug jemals
machen würde.
    Zur Linken konnte er einen großen weißen Lastwagen und
Personal in Schutzanzügen sehen, die darauf warteten, daß
er von der Piste auf einen Standplatz manövrierte. Sie
ließen die Maschine nicht aus dem Lichtkegel eines
Scheinwerfers. Er winkte aus dem Fenster und bedeutete ihnen zu
bleiben, wo sie waren. Über den Bordfunk sagte er: »Ich
brauche einen Schutzanzug ungefähr hundert Meter von der
Maschine entfernt. Und der Wagen wird weitere hundert Meter jenseits
stehen müssen.« Ein Mann, der auf dem Trittbrett des
Fahrerhauses stand, hörte den Empfang mit und signalisierte ihn
mit erhobenem Daumen. Ein Schutzanzug wurde am Rand der Landepiste
niedergelegt, und der Lastwagen und das Personal
vergrößerten ihre Distanz.
    Bernard ließ die Triebwerke auslaufen, schaltete die
Zündung aus und ließ nur die Innenbeleuchtung und das
Treibstoff-Notabwurfsystem aktiviert. Darauf klemmte er seinen
Aktenkoffer unter den Arm, trat in die Passagierkabine und nahm aus
dem

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