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Blutmusik

Blutmusik

Titel: Blutmusik Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Greg Bear
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zeigte der Lichtkegel schräg
aufwärts. John schüttelte den Kopf, dann begann er leise
und anhaltend zu schluchzen, die Augen zugedrückt, den Mund
breit gedehnt. Jerry half ihm auf und umarmte seinen Bruder, blickte
über seine Schulter hinweg in den wogenden, vom Lichtkegel
durchschnittenen Nebel. »Schhh!« machte er immer wieder.
Sie waren über und über bedeckt mit dem unangenehm
riechenden, klebrigen braunen Schmutz. »Schhh.«
    »Ich habe es in mir zurückgehalten«, sagte John,
nachdem er tief und bebend Atem geholt hatte. »Jerry, laß
mich los! Ich habe es zu lange in mir verschlossen. Laß uns von
hier verschwinden! Niemand ist da. Niemand ist hier unten.«
    »Ja«, sagte Jerry. »Nicht hier. Vielleicht
irgendwo, aber nicht hier.«
    »Ich kann sie fühlen, Jerry.«
    »Ich weiß. Aber nicht hier.«
    »Aber wo dann, zum Teufel…«
    »Schhh.« Sie lauschten dem leisen Säuseln der Luft,
die den Nebel in Wallung brachte. Jerry spürte, wie seine Augen
sich in der Dunkelheit so weit wie Katzenaugen öffneten.
»Still. Da ist was…«
    »Mein Gott.« John machte sich von seinem Bruder los. Sie
standen da, triefend vom klebrigen Schlamm und blickten in die
Richtung des Lichtkegels. Dort wogte und brodelte der Nebel.
    »Es ist ein Jogger«, sagte Jerry, als die Silhouette
Gestalt annahm.
    »Es ist zu groß«, meinte John.
    Das Objekt hatte einen Durchmesser von mindestens drei Metern, war
abgeflacht und hatte Fransen, die von seiner Seite herabhingen. Im
ungewissen Licht schien es bräunlich zu sein.
    »Es hat keine Beine«, wisperte Jerry. »Es schwebt
einfach da.«
    John trat vor. »Gottverdammte Bestien«, sagte er mit
gepreßter Stimme. Er hob die Faust. »Ich werde
sie…«
    Und es folgte ein Augenblick des Vergessens.
     
    Der Morgen färbte den Osthimmel aquamarinblau. Die Stadt,
bedeckt mit braunen und weißlichen Laken, gemahnte an etwas,
das eher unter Wasser gehörte, eine niedrige, ebene Strecke
Meeresgrund.
    Sie standen im Entwässerungsgraben jenseits der Zäune
und blickten zur Stadt hin.
    »Ich kann mich kaum bewegen«, sagte Jerry.
    »Ich mich auch nicht.«
    »Ich glaube, es hat uns gestochen.«
    »Ich fühlte nichts.«
    John bewegte versuchsweise den Arm. »Ich glaube, ich sah
sie.«
    »Du sahst – wen?«
    »Ich bin ziemlich durcheinander, Jerry.«
    »Ich auch.«
    Die Sonne war schon ein gutes Stück am Himmel emporgestiegen,
als sie endlich imstande waren, einen Fuß vor den anderen zu
setzen. Über der Stadt trieben transparente Halbkugeln zwischen
den Umrissen der Gebäude und versprühten bisweilen
dünne Lichtimpulse. »Erinnert mich an eine Qualle«,
bemerkte Jerry, während sie schwankend zur Straße und zum
Lastwagen tappten.
    »Ich glaube, ich sah Loren und Ruth. Ich bin nicht
sicher«, sagte John. Langsam und mit steifen Bewegungen
näherten sie sich allmählich dem Lastwagen, kletterten ins
Fahrerhaus und schlossen die Türen. »Fahren wir!«
    »Wohin?«
    »Ich sah sie unten, wo wir waren. Aber sie waren nicht da.
Das ergibt keinen Sinn.«
    »Nein, ich meine, wohin fahren wir jetzt?«
    »Aus der Stadt. Anderswohin.«
    »Sie sind überall, John. Sagt das Radio.«
    »Verdammte Marsbewohner.«
    Jerry seufzte. »Marsbewohner? – Die hätten uns
längst umgelegt, John.«
    »Scheiß auf sie! Laß uns fahren!«
    »Was immer sie sind«, meinte Jerry, »ich bin
ziemlich sicher, daß sie von hier sind.« Er deutete mit
einem Nicken hinüber zum Lawrence Livermore-Gelände.
»Von dort drüben.«
    »Fahr los!« sagte John. Jerry startete den Motor, legte
den Gang ein und rumpelte die ungeteerte Straße entlang. Sie
bogen in die East Avenue ein, wichen an der nächsten Kreuzung
mit knapper Not einem verlassenen Wagen aus und schleuderten mit
quietschenden Reifen auf die South Vasco Road, um die
Fernstraße zu erreichen. »Wieviel Sprit haben wir im
Tank?«
    »Hab gestern erst aufgetankt. Bevor die Laken die
Zapfsäulen einwickeln konnten.«
    »Weißt du«, sagte John, bückte sich und hob
Putzwolle vom Boden auf, sich die Hände zu wischen, »ich
glaube nicht, daß wir klug genug sind, diesen Dingen auf den
Grund zu kommen. Wir haben einfach keine Ahnung.«
    »Oder keine guten Ideen, vielleicht.« Jerry kniff die
Augen zusammen. Einen Kilometer voraus stand jemand am
Straßenrand und winkte lebhaft. John folgte der Blickrichtung
seines Bruders.
    »Wir sind nicht allein«, sagte er.
    Jerry verlangsamte. »Eine Frau.« Vierzig oder
fünfzig Schritte vor der Stelle, wo sie wartete, hielten sie

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