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Blutmusik

Blutmusik

Titel: Blutmusik Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Greg Bear
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Tatsache
aufzudecken?«
    »Ich würde das nicht so sehen. Ich dachte, meine
Eintragungen würden abgefragt und gelesen.«
    »Aber Michael, warum haben Sie mir nichts davon gesagt? Es
mag albern klingen, aber ich fühle mich verletzt. Ich dachte,
ich sei eine Vertrauensperson in Ihrer Welt.«
    Bernard schüttelte den Kopf und schmunzelte. »Das sind
Sie in der Tat, Heinz. Sie sind mein Gastgeber. Und sobald ich mir
darüber im klaren bin, wie ich es sprachlich auszudrücken
habe, werde ich Ihnen alles erklären. Der Dialog zwischen den
Noozyten und mir beginnt gerade erst. Ich kann nicht
ausschließen, daß es noch zahlreiche fundamentale
Mißverständnisse gibt.«
    Paulsen-Fuchs ging zur Tür des Nebenzimmers. »Sagen Sie
mir, wenn Sie bereit sind, es könnte sehr wichtig sein«,
sagte er in müdem Tonfall.
    »Gewiß.«
    Paulsen-Fuchs ging hinaus.
    Das war beinahe kalt, dachte Bernard. Ich benahm mich wie ein
Außenseiter, der allen mißtraut. Und Heinz ist ein
Freund.
    Doch was konnte er tun?
    Vielleicht näherte seine Menschlichkeit sich ihrem Ende.

 
30
     
    Im sechzigsten Stockwerk erkannte Suzy, daß sie an diesem
Tag nicht würde höher steigen können. Sie saß im
Schreibtischsessel eines Direktors hinter einem riesigen Schreibtisch
(sie hatte den grauen Anzug und das feine Seidenhemd und die
Alligatorschuhe des Mannes in eine Ecke geworfen) und schaute zum
breiten Fenster hinaus auf die einige zweihundert Meter unter ihr
liegende Stadt. Die Wände hatten echte Holzvertäfelung und
waren mit signierten Drucken von Werken Norman Rockwells in
bronzierten Rahmen geschmückt. Sie aß Zwieback mit
Marmelade und Erdnußbutter aus ihrem in der Plastiktüte
mitgebrachten Vorrat und trank dazu Mineralwasser aus der gut
sortierten Bar des Geschäftsmannes.
    Ein vor dem Fenster aufgestelltes Messingteleskop bot eine
großartige Gelegenheit, ihre heimatliche Nachbarschaft zu
beobachten, die inzwischen völlig in die ledrigen braunen Laken
eingehüllt war. Auch konnte sie alles beobachten, was sie im
Süden und Westen interessierte. Der Fluß um Governors
Island sah nicht mehr wie Wasser aus, sondern schlammig und wie
gefroren, und eigentümlich verfestigte Wellen breiteten sich
kreisförmig aus, um anderen Wellen zu begegnen, die von Ellis
Island und Liberty Island ausgingen. Das alles sah mehr wie geharkter
Sand denn wie Wasser aus, aber sie wußte, das es nicht zu Sand
geworden sein konnte.
    »Du mußt sehr reich gewesen sein und eine Menge Geld
verdient haben«, sagte sie zu dem grauen Anzug und dem seidenen
Hemd und den Schuhen. »Ich meine, es ist hübsch hier, und
elegant. Ich würde dir danken, wenn ich könnte.« Sie
trank die Flasche leer und steckte sie in einen hölzernen
Papierkorb unter dem Schreibtisch.
    Der Schreibtischsessel war so bequem, daß man darin schlafen
konnte, aber sie hoffte, ein Bett zu finden. In Fernsehfilmen sah man
manchmal reiche Geschäftsleute, die in ihren
Büroräumen private Schlafzimmer eingerichtet hatten. Dieses
Büro sah sicherlich vornehm genug aus. Aber im Moment war sie zu
müde, um nach einem Schlafzimmer zu suchen.
    Die Sonne ging über New Jersey nieder, und Suzy massierte
sich die strapazierten Beinmuskeln.
    Der größte Teil der Stadt, so weit sie sehen konnte,
war verhängt mit braunen und schwarzen Decken. Es gab keine
bessere Beschreibung. Jemand war gekommen und hatte alle Gebäude
in Manhattan bis zum zehnten oder zwanzigsten Stockwerk in Decken
gehüllt. Von Zeit zu Zeit sah sie riesige Bahnen des Materials
auffliegen und davonsegeln, wie sie es schon in Brooklyn beobachtet
hatte, aber anscheinend hatte der Wind nachgelassen, denn es gab
jetzt weniger von dieser Aktivität.
    »Leb wohl, Sonne«, sagte sie. Der kleine rote Bogen
versank hinter dem Horizont, und zum ersten Mal in ihrem Leben sah
sie in der letzten Sekunde gebrochenen Lichts ein kurzes Aufleuchten
von Grün. Sie hatte in der Schule davon gehört; die
Lehrerin hatte gesagt, es sei ein sehr seltenes Phänomen (und
hatte sich nicht die Mühe gemacht zu erklären, wodurch es
verursacht wurde), und nun lächelte sie voll Freude. Sie hatte
es tatsächlich gesehen.
    »Ich bin eben privilegiert, das ist es«, sagte sie. Und
das brachte sie auf eine Idee. Sie war nicht sicher, ob es einer
ihrer unheimlichen Anflüge von Einsicht war, oder ob es sich
bloß um einen Tagtraum handelte. Sie wurde beobachtet. Das
Braune beobachtete sie, und der Fluß. Die Häuflein der
Kleider. Was aus den Menschen geworden war,

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