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Blutmusik

Blutmusik

Titel: Blutmusik Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Greg Bear
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bestiegen den Aufzug. Howard
drückte den Knopf für Restaurant und Aussichtsraum.
    »Ich wußte es«, sagte sie und ließ die
Schultern hängen. »Ich träume.«
    Ihre Brüder schauten sie an und lächelten,
schüttelten den Kopf.
    »Nein, du träumst nicht«, sagte Kenneth. »Wir
sind wieder da.«
    Der Aufzug hob sie lautlos die verbleibenden fünfundzwanzig
Stockwerke empor.
    »Dummes Zeug«, sagte sie und fühlte die Tränen
auf den Wangen. »Es ist grausam.«
    »Gut, der Teil mit dem Schlafzimmer, dem Haus – das ist
ein Traum. Manches dort unten würdest du wahrscheinlich nicht
sehen mögen, aber wir sind hier. Wir sind wieder bei
dir.«
    »Ihr seid tot«, sagte sie. »Mama auch.«
    »Wir sind anders«, sagte Howard. »Nicht
tot.«
    »So, was seid ihr dann, Marionetten? Verdammt!«
    »Sie haben uns nicht getötet«, sagte Kenneth.
»Sie haben uns bloß… auseinandergenommen. Wie alle
anderen.«
    »Nun, wie beinahe alle anderen.« Howard wies auf sie,
und beide grinsten.
    »Du hast Glück gehabt, oder etwas versäumt, je
nachdem, wie man es sieht«, sagte Kenneth.
    Mittlerweile war ihr himmelangst. Die Aufzugtür öffnete
sich, und sie traten hinaus in eine elegante, verspielte Halle. Zu
beiden Seiten setzten sich die Lichtreflexe der Lampen bis in die
Unendlichkeit fort. Die Lampen waren eingeschaltet! Der Aufzug
funktionierte! Sie mußte träumen, oder sie war
schließlich verrückt geworden.
    »Manche sind auch gestorben«, sagte Kenneth in
feierlichem Ton und nahm sie bei der Hand. »Unfälle,
Fehler.«
    »Das ist nur ein Teil dessen, was wir jetzt wissen«,
sagte Howard. Sie gingen zwischen den Spiegeln dahin, vorüber an
einer großen aufgeschnittenen Druse, deren Inneres eine Pracht
von Amethystkristallen zeigte, vorbei an einem monumentalen Klumpen
Rosenquarz und an einem durchschnittenen und polierten
Malachitknollen. Niemand kam ihnen im Foyer des Restaurants entgegen.
»Mama ist drin«, sagte er. »Wenn du Hunger hast, hier
oben gibt es jede Menge zu essen, das ist sicher.«
    »Der Strom ist eingeschaltet«, sagte sie.
    »Notstromaggregat im Keller. Lief noch eine Weile, nachdem
die Stromversorgung der Stadt aufhörte, aber der Treibstoff ging
aus, verstehst du? Also suchten wir Treibstoff. Sie sagten uns, wie
man das Ding bedient, und wir schalteten es ein, bevor wir dich
holten«, sagte Howard.
    »Ja. Es fällt ihnen schwer, Leute zu rekonstruieren,
also machten sie nur Mama und uns. Nicht das Instandhaltungspersonal
und die anderen. Wir erledigten die ganze Arbeit. Du hast eine Weile
geschlafen, weißt du?«
    »Zwei Wochen.«
    »Deshalb ist dein Knie jetzt besser.«
    »Das und…«
    »Pst«, sagte Kenneth und hob die Hand, seinen Bruder zur
Schweigsamkeit zu ermahnen. »Nicht alles auf einmal.« Suzy
blickte von einem zum anderen, als sie sie in die Mitte nahmen und in
das Restaurant führten.
    Es war Spätnachmittag. Die Stadt, deutlich sichtbar durch die
Panoramafenster des Restaurants, war nicht mehr in die lebendigen
Laken gehüllt.
    Sie konnte keine vertrauten Landmarken erkennen. Vorher hatte sie
wenigstens die verborgenen Umrisse von Gebäuden, die
Straßenschluchten und die Umrisse von Stadtteilen ausmachen
können.
    Es war nicht mehr derselbe Ort.
    Grau, schwarz, blendend weiß wie Marmor, angeordnet in
Polyedern und Pyramiden, manche durchscheinend wie Milchglas.
Organisch anmutende Formen wechselten mit Platten von einigen Dutzend
Metern Höhe, die wie aufgestellte Dominosteine vom Battery Park
bis zum Riverside Park führten. Alle Formen und Massen der
Gebäude Manhattans waren in seinen Sack gesteckt,
durcheinandergeschüttelt, umgeformt und frisch gestrichen
worden.
    Vor allem aber waren die Strukturen nicht mehr aus Beton und
Stahl. Suzy wußte nicht, woraus sie waren.
    Aber sie waren lebendig.
    Ihre Mutter saß hinter einem breiten, mit Speisen
überladenen Tisch. Entlang der Vorderseite waren Salate in
Schüsseln aufgereiht, ein dicker angeschnittener Schinken erhob
sich in der Mitte, Schalen mit Oliven und eingelegtem Gemüse
nahmen die Seiten ein, Kuchen und Süßspeisen den
rückwärtigen Teil. Ihre Mutter lächelte und kam hinter
dem Tisch hervor, die Arme ausgebreitet. Sie trug ein teures Kleid,
dessen Ärmel mit Spitzen und Perlen besetzt waren, und sah
absolut umwerfend aus. »Suzy«, sagte sie. »Schau nicht
so ängstlich! Wir sind zu Besuch gekommen.«
    Sie umarmte ihre Mutter, fühlte den festen Körper unter
dem Stoff und gab die Vorstellung auf, daß es ein Traum sei.

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