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Blutnacht

Blutnacht

Titel: Blutnacht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jonathan Kellerman
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Straße.«
    »Zu diesem Zeitpunkt schwer zu sagen«, erwiderte ich. »Wie gut kannten Sie sie?«
    »Man kennt jemanden wie Erna nicht wirklich. Ich hab sie ein paar Mal gesehen.«
    »Hier oder im Dove House?«
    »Einmal dort, zweimal hier.«
    »Sie ist nach dem Notruf ins Asyl zu Ihnen gekommen?«
    »Ich hab ihr meine Karte gegeben«, sagte sie. »Ich war schockiert, als ich feststellte, dass sie sie tatsächlich behalten hat.« Sie klappte das Krankenblatt auf. Innen lag eine einzige Seite. Ich konnte eine kleine, säuberliche Handschrift erkennen. »Beide Male ist sie einfach so vorbeigekommen. Das erste Mal war etwas mehr als zwei Wochen, nachdem ich sie im Dove House gesehen hatte. Ihre Fissuren im Analbereich hatten wieder zu bluten angefangen, und sie klagte über Schmerzen. Das überraschte mich nicht. Im Dove House hatte ich nur eine oberflächliche Untersuchung vorgenommen. Bei jemandem wie ihr kann man nur Vermutungen anstellen, was innerlich los ist. Ich drängte sie, eine Proktoskopie machen zu lassen, bot ihr an, eine für sie umsonst im County Hospital zu arrangieren. Sie weigerte sich, also gab ich ihr Salbe und ein Analgeticum und den Einführungsvortrag in Hygiene – nicht mit erhobenem Zeigefinger. Man muss sich nach seinem Publikum richten.«
    »Ich weiß, was Sie meinen«, erwiderte ich. »Ich hab meine Ausbildung am Western Peds gemacht.«
    »Tatsächlich?«, sagte sie. »Ich bin am County ausgebildet worden, bin aber auch einige Zeit am W. P. gewesen. Kennen Sie Ruben Eagle?«
    »Ich kenne ihn gut.«
    Wir tauschten Namen, Orte und andere belanglose Gemeinsamkeiten aus, und dann wurde Hannah Golds Gesicht ernst. »Das zweite Mal, als Erna hierher kam, war sehr viel beunruhigender. Es war abends. Sie platzte hier herein, als ich gerade dabei war, Schluss zu machen. Alle anderen waren schon nach Hause gegangen, und ich schaltete die Lichter aus, als die Tür aufging, und da stand sie und wedelte mit den Händen, wirklich nicht ganz bei sich. Dann bekamen ihre Augen einen panischen Ausdruck, und sie streckte die Arme nach mir aus.« Sie schüttelte sich. »Sie wollte getröstet werden. Ich muss leider gestehen, dass ich vor ihr zurückwich. Sie war eine große Frau, und mein erster Reflex war Angst. Sie sah mich mit diesem Blick an und brach einfach auf dem Boden zusammen und fing an zu weinen. Ich half ihr auf die Beine und brachte sie nach hinten in mein Sprechzimmer. Sie hatte Muskelstarre und plapperte unverständliches Zeug. Ich bin keine Psychiaterin und wollte nicht mit Thorazin oder irgendeinem anderen schweren Medikament zuschlagen. Den Notdienst zu rufen wäre einem Verrat gleichgekommen – ich fühlte mich nicht mehr bedroht. Sie war bemitleidenswert, nicht gefährlich.« Sie schloss das Krankenblatt. »Ich gab ihr Valium und etwas Kräutertee, saß dort mit ihr zusammen – es muss etwa eine Stunde gewesen sein. Schließlich beruhigte sie sich wieder. Falls es nicht dazu gekommen wäre, hätte ich den Notdienst doch noch angerufen.«
    »Haben Sie eine Idee, was sie so verstört hatte?«
    »Das wollte sie nicht sagen. Sie wurde ganz ruhig – fast stumm. Dann entschuldigte sie sich dafür, mich beunruhigt zu haben, und bestand darauf zu gehen.«
    »Fast stumm?«
    »Sie antwortete auf einfache unverfängliche Fragen mit Ja oder Nein. Aber nichts dazu, was sie veranlasst hatte, in die Praxis zu kommen, oder zu ihren physischen Problemen. Ich wollte sie untersuchen, aber das ließ sie nicht zu. Trotzdem entschuldigte sie sich weiter – ihr war klar, dass ihr Be nehmen nicht einwandfrei gewesen war. Ich schlug vor, dass sie zum Dove House zurückkehrte. Sie sagte, das wäre eine klasse Idee. Das waren genau ihre Worte. ›Das ist eine Masse Idee, Dr. Gold!‹ Als sie das sagte, klang sie fast … keck. Das machte sie manchmal, sie wurde fröhlich ohne Vorankündigung. Aber es war eine beunruhigende Fröhlichkeit – gekünstelt. Sie benutzte Wendungen, die zu … kultiviert für den Anlass waren.«
    »Die Leute vom Dove House hatten das Gefühl, sie hätte eine gute Erziehung genossen.«
    Hannah Gold dachte darüber nach. »Oder sie hat so getan.«
    »Wie meinen Sie das?«
    »Haben Sie noch nie erlebt, wie Psychotiker das tun? Sie merken sich bestimmte Redewendungen und spucken sie wieder aus – wie autistische Kinder.«
    »Hat Erna diesen Eindruck auf sie gemacht?«
    Sie presste die Lippen zusammen. »Ich kann nicht wirklich behaupten, einen Eindruck von ihr zu haben.« Ihre Augen

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