Blutnacht
Verrückte«, sagte Brooklyn-Colette. »Was hat sie getan?«
»Sich ermorden lassen«, antwortete Stahl.
»Oh. Wie schade. Nun ja, viel Glück bei der Suche nach ihm. Überprüfen Sie Sammelpunkte von Pennern. Er hat gesoffen wie ein Loch. Genau wie Ed. Die Navy hat’s nie gestört. Hat ihn zum Sergeant befördert oder wie man das in der Navy nennt. Kein großer Kriegsheld, eher ein Bürohengst. Hat aber so getan, als wäre er ein Held. Hat gern diese Uniform getragen, ist in Kneipen gegangen und hat versucht, Frauen abzuschleppen.«
»Das tun sie gern, die Typen vom Militär.«
»Das sagen Sie mir?«, erwiderte Brooklyn-Colette. »Ich war vierunddreißig Jahre mit einem verheiratet. Ed war bei der Küstenwache. Dann ist er zur Port Authority gegangen, saß an einem Schreibtisch und hat so getan, als wäre er ein Admiral.« Sie lachte. »Ich geh jetzt wieder schlafen –«
»Noch eine Sache, Ma’am«, sagte Stahl. »Bitte.«
»Es ist spät«, bellte sie. »Was?«
»Erinnern Sie sich, in welchem Stützpunkt der Navy Ihr Schwager stationiert war?«
»Irgendwo in Kalifornien. San Diego oder so. Ich erinnere mich, dass wir sie mal im Sommer besucht haben. Schöne Gastgeber waren das, haben nur rumgesessen und nichts gemacht. Danach sind sie nach Hawaii gegangen – die Navy hat sie nach Hawaii geschickt, können Sie sich das vorstellen? Wie ein bezahlter Urlaub.«
»Wie lange waren sie in Hawaii?«
»Ein Jahr oder so, dann ist Donald ausgeschieden, hat seine Pension gekriegt, und sie sind zurück nach Kalifornien gezogen.«
»Nach San Diego?«
»Nee, irgendwo in der Nähe von L.A., glaube ich. Wir haben uns aus den Augen verloren. Ich wär in Hawaii geblieben.«
»Warum sind sie nicht dort geblieben?«
»Woher soll ich das wissen? Sie waren blöd. Über den Teil der Familie zu reden bringt schlechte Erinnerungen zurück. Gute Na–«
»Irgendeine Ahnung, wo in der Nähe von L.A.?«, sagte Stahl.
»Sind Sie schwerhörig, Mister? Was ist in Sie gefahren, all diese Fragen zu stellen, mitten in der Nacht! Als hätten Sie ein Recht dazu. Sie klingen nach dem Militär – Sie haben Zeit beim Militär verbracht, hab ich Recht?«
»Ich habe gedient, Ma’am.«
»Na ja, prima für Sie, aber mir reicht’s jetzt mit Ihnen. Lassen Sie mich in Ruhe.«
Von San Diego nach Hawaii. Also zurück zur SV-Liste. Donald Arthur Murphy, neunundsechzig Jahre alt.
Irgendwo in der Nähe von L. A. Trotz ihrer Probleme hatte Erna sich nicht weit von zu Hause wegbewegt.
Es war zu spät, um sich Zugang zu den Akten der Navy oder des Grundbuchamts der Countys zu verschaffen, also fuhr Stahl in seine Einzimmerwohnung an der Franklin, zog seine Sachen aus, faltete sie ordentlich zusammen, legte sich aufs Bett, masturbierte kurz, während er an nichts dachte, duschte und schrubbte sich gründlich ab. Dann legte er bereits gewaschene und klein geschnittene Salatblätter auf einen Pappteller, fügte Thunfisch aus der Dose hinzu, weil er Proteine brauchte, aß schnell, ohne etwas zu schmecken, und ging schlafen.
Am nächsten Morgen benutzte er sein Telefon zu Hause.
Donald Arthur Murphy besaß keinen Grundbesitz im L.A. County. Das Gleiche galt für Orange, Riverside, San Bernardino, alle Bezirke im Süden bis zur mexikanischen Grenze. Stahl arbeitete sich durch die Countys im Norden bis nach Oregon. Immer noch keine Treffer.
Ein Mieter.
Er rief die Navy-Verwaltung in Port Hueneme an und bekam schließlich die Adresse genannt, an die jeden Monat der Scheck mit Murphys Pension geschickt wurde.
Sun Garden Convalescent Home. Palms Avenue in Mar Vista.
Eine Autofahrt von einer halben Stunde. Connor hatte ihn eine Zeit lang nicht angerufen, aber er wollte, dass die Dinge ihren geordneten Gang nahmen, und meldete sich daher im Revier. Wohl wissend, dass sie nicht dort sein würde. Er hinterließ eine Nachricht, versuchte sie zu Hause zu erreichen, und niemand meldete sich.
Schlief sie heute länger und ließ das Telefon klingeln? Oder war sie schon draußen und hörte sich auf der Straße um? Vielleicht weder noch, und sie erholte sich – war mit jemandem verabredet, süß genug war sie ja. Eine junge Frau mit ausgefülltem Privatleben.
Intellektuell hatte er Verständnis für das Bedürfnis nach Vergnügen.
Auf emotionaler Ebene ließ es ihn kalt.
34
Petra stand früh auf, um die Straßen abzuklappern. Die letzte Nachtschicht hatte sie mit Leuten verbracht, die sich nach Einbruch der Dunkelheit dort rumtrieben: Nachtschwärmer,
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