Blutnacht
nicht helfen lassen, ist ihren eigenen Weg gegangen. Lebte auf der Straße. Sie war früher schon ein seltsames kleines Mädchen. Wild, mürrisch, merkwürdiges Verhalten. Seltsame Essgewohnheiten – Kreide, Dreck, verdorbenes Essen. Sie zog an ihren Haaren, lief im Kreis herum und führte Selbstgespräche. Sie zeichnete den ganzen Tag Bilder, aber sie hatte nicht einen Hauch Talent.«
Alma Trueblood richtete sich zu voller Größe auf. »Ich hatte sie nie gern um mich. Sie hatte einen schlechten Einfluss auf meine Kinder, und ich muss Ihnen sagen, Officer, ich lasse es nicht zu, dass meine Familie in irgendetwas Schmutziges hineingezogen wird.«
»Wow«, sagte Stahl.
»Was soll das denn heißen, junger Mann?«
»Sie machen einen ziemlich wütenden Eindruck.«
»Ich bin nicht wütend! Ich bin besorgt. Mein Bruder muss umsorgt werden – sehen Sie ihn sich an. Erst sein Herz, dann seine Leber und seine Nieren. Alles versagt. Ich zahle die Rechnung für diesen Laden, und glauben Sie mir, es beläuft sich auf eine ganz schöne Summe. Wenn ich das nicht täte, würde Donald in irgendeinem Krankenhaus für Veteranen landen. Nein, davon will ich nichts hören. Der Herrgott hat es gut mit mir gemeint, und mein großer Bruder wird hier so lange seine Ruhe haben, wie es dauert. Jetzt halten Sie mich nicht für grausam. Ich bedaure es, das von Ernadine zu hören. Aber sie hat die Familie vor Jahren verlassen, und ich lasse nicht zu, dass sie für Unruhe sorgt.«
»Für Unruhe sorgt, indem sie stirbt?«
»Indem sie … uns in Verbindung mit dem schmutzigen Leben bringt, das sie geführt hat. Wir – ich und mein Mann, William T. Trueblood – sind angesehene Mitglieder der Gesellschaft. Wir unterstützen viele lobenswerte Einrichtungen, und ich werde nicht zulassen, dass Mr. Truebloods Name in irgendeine unappetitliche Geschichte hineingezogen wird. Ist das klar?«
»Sehr.«
»Dann darf ich Sie jetzt bitten zu gehen.« Alma Trueblood ließ den Verschluss der grünen Krokotasche aufschnappen und gewährte Stahl Einblick in den Inhalt. Jede Menge Zeug darin, aber alles säuberlich geordnet – Päckchen in hauchdünne Papiertücher eingewickelt. Das erste Mal, dass er eine derart ordentliche Handtasche sah.
»Haben Sie je Zeit beim Militär verbracht, Mrs. Trueblood?«
»Wie kommen Sie denn darauf? Lächerlich.« Dicke Finger gruben sich zum Boden der Handtasche, fanden ein kleines goldenes Etui, das sie öffnete. Heraus kam eine cremefarbene Visitenkarte. »Geben Sie mir Bescheid, wenn die Umstände von Ernadines Beisetzung geklärt sind. Ich werde für die Rechnung aufkommen. Natürlich. Guten Tag, junger Mann.«
Stahl ließ die Karte in eine Jackentasche gleiten. Tolles Papier, schwer, Seidenglanz.
Die kleine Schwester war gesellschaftlich aufgestiegen.
Er strebte zur Tür.
»Sie tun besser etwas gegen Ihre Narkolepsie«, sagte Alma Trueblood. »Ich bin sicher, Ihre Vorgesetzten wären nicht erfreut, davon zu hören.«
37
Milo rief am späten Nachmittag an. »Petra und ich sind der Ansicht, es wäre an der Zeit, Drummonds Eltern einen weiteren Besuch abzustatten. In dem Honda fanden sich nur Fingerabdrücke von Kevin auf dem Lenkrad und dem Griff an der Fahrertür und an verschiedenen Stellen ein paar verschmierte Abdrücke von diversen Leuten in Inglewood, die das abgeschleppte Auto angefasst haben. Kein Blut, keine Körperflüssigkeiten, keine Waffen. Auch keine Verbindung zu Erna Murphy, aber Petra hat jemanden gefunden, der gesehen hat, wie sie in der Nacht, in der sie getötet wurde, in einen kleinen, hellen Wagen gestiegen ist. Nahe der Stelle, wo sie ermordet wurde. Kevins Wagen wurde erst am nächsten Tag abgeschleppt.«
»Wer ist der Zeuge?«, fragte ich.
»Ein Speedfreak und Pillendealer«, antwortete er. »Es ist nicht hieb- und stichfest, aber es bestätigt den zeitlichen Rahmen: Kevin liest sie auf, bringt sie um, macht die Fliege.«
»Nachdem er Ernas Fingerabdrücke von seinem Wagen abwischt. Ist er in letzter Zeit gewaschen worden?«
»Schwer zu sagen, nachdem er die ganze Zeit auf dem Hof gestanden hat. Die Leute vom Labor sagen, die Beifahrertür sei zu sauber gewesen, so als wäre sie abgewischt worden. Das ist ein Zeichen für verbrecherischen Vorsatz, was der Grund dafür ist, dass wir Mommy und Daddy noch mal auf die Pelle rücken möchten. Deine Vorschläge und deine Anwesenheit wären willkommen. Von wegen psychologischer Strategie und so weiter.«
»Wann?«, fragte ich.
»Nach
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