Blutnacht
Gordon Shull war in Clubs und Kneipen und alternativen Buchläden ein bekanntes Gesicht.
Die Erinnerungen eines verkaterten Barkeepers im Screw, einer ranzig riechenden Trash-Metal-Höhle an der Vermont, waren typisch:
Yeah, ich hab ihn gesehen. Trägt Schwarz und versucht, junge Bräute abzuschleppen.
Mit Erfolg?
Manchmal vielleicht.
Irgendein besonderes Mädchen?
Sie sind alle gleich.
Was können Sie mir sonst über ihn erzählen?
Nur ein alter Typ, der versucht, cool zu sein – verstehn Sie?
Was verstehe ich?
So ist es nun mal.
Eine völlig andere Sache als ihre vergeblichen Versuche, irgendwelche Hinweise auf Kevin Drummond zu finden. Aber etwas machte ihr zu schaffen: Keiner ihrer Gewährsleute hatte Shull mit Kevin zusammen gesehen. War der jüngere Mann überhaupt in die üblen Geschichten verwickelt?
Trotz der Identifizierungen blieben ihre Versuche, Shull mit Drogen, gewalttätigen Neigungen, anomalem Sex und Erna Murphy in Verbindung zu bringen, erfolglos. Bei Schichtende stellte sie fest, dass ihre Bemühungen sehr wenig erbracht hatten, was sie kurzfristig nutzen konnten, und sie fühlte, wie ihre Stimmung sich verschlechterte. Dann wurde ihr ein kleines Gottesgeschenk zuteil: Als sie das erste Mal auf ihrem Weg über die Fountain Avenue am Snake Pit vorbeigekommen war, war der Club geschlossen gewesen – HEUTE ABEND KEINE VORSTELLUNG –, aber auf dem Rückweg zum Revier sah sie Autos auf dem Parkplatz davor und eine Tür, die ein wenig offen stand.
Sie ging hinein und stieß auf einen fetten Rausschmeißer mit Pferdeschwanz, der sich an einem Gin Tonic festhielt. Der Laden roch wie eine Toilette.
»Geschlossen«, sagte der fette Kerl. »Gebäudereinigung.«
Außer ihm war noch ein kleiner Mann anwesend, der aussah wie ein Indianer aus dem Regenwald und den klebrigen Boden aufwischte. Musik – bassbetonter Chicago-Blues – dröhnte aus den Lautsprechern. Nackte Sperrholztische waren willkürlich verteilt. Ein Schlagzeug stand auf der Bühne. Ein Mikrofonständer ohne Mikrofon sah aus, als wäre er enthauptet worden. Nichts ist trauriger als eine Spelunke ohne Gäste.
Petra trat weiter hinein, sah sich weiter um und lächelte den Rausschmeißer an.
»Yeah?« Er verschränkte oberschenkelgroße Unterarme über seinem Sumobauch. Seine Haut hatte die rosa-graue Farbe von roher Schweinewurst. Ein Besatz von Tattoos verwandelte die Arme in Kimonoärmel. Gefängniskunst und feinere Arbeiten. Ein Hakenkreuz zierte seinen Hals.
Er gehörte nicht zu denen, die sie im Zusammenhang mit Baby Boys Ermordung befragt hatte. Sie zeigte ihm sein Abzeichen und fragte ihn danach.
»Ich hatte in der Nacht keinen Dienst.«
Sie hatte vom Geschäftsführer eine vollständige Liste der Angestellten verlangt. So viel dazu. Sie zeigte ihm Shulls Foto.
»Yeah, der kommt hierher.« Schweinewurst trank sein Glas leer, watschelte hinter die Bar und machte sich noch einen Gin Tonic. Er nahm sich viel Zeit, eine Limette aufzuschneiden, presste sie in das Glas, warf sich dann den Schnitz in den Mund, kaute darauf herum und schluckte ihn hinunter.
»Wie oft kommt er hierher?«, fragte Petra.
»Manchmal.«
»Wie heißen Sie?«
Die Frage gefiel ihm nicht, aber er war nicht im Geringsten eingeschüchtert. »Ralf Kvellesenn.«
Sie ließ ihn den Namen buchstabieren und schrieb ihn auf. Ralf mit einem »F«. Irgendein Wikingervorfahre drehte sich im Grab herum. »Seien Sie etwas präziser als »manchmal, Ralf.«
Kvellesenn zog die Augenbrauen zusammen, und seine fettige Stirn legte sich in Falten. »Der Typ kommt eher selten rein. Er ist kein Stammgast. Ich kenne ihn nur, weil er wirklich einen auf freundlich macht.«
»Ihnen gegenüber?«
»Den Musikern gegenüber. Der Typ findet es scharf, mit denen zu reden. Zwischen den Sets. Er steht darauf, hinter die Kulissen zu gehen.«
»Darf er das?«
Kvellesenn zwinkerte. »Wir sind nicht die Hollywood Bowl.«
Das hieß, ein paar Dollar öffneten Türen.
»Also ist er eine Art Groupie.«
Kvellesenn stieß ein feuchtes Lachen aus. »Ich hab nie gesehen, wie er einen Schwanz lutscht.«
»Ich meinte das nicht wörtlich, Ralf.«
»Egal.«
»Sie scheinen gar nicht neugierig zu sein, warum ich Sie nach ihm frage.«
»Ich bin nicht neugierig«, erwiderte Kvellesenn. »Neugier bringt einen in Schwierigkeiten.«
Sie schrieb sich Kvellesenns Adresse und Telefonnummer auf, setzte sich an einen Tisch, während er sie anstarrte, ließ sich Zeit damit, ihre Notizen zu
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