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Blutnacht

Blutnacht

Titel: Blutnacht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jonathan Kellerman
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tiefrote Wände, an denen maschinell hergestellte Bildteppiche mit großäugigen, muskatfarbenen Menschen und spitztürmigen Tempeln hingen. Eine Kopfstimme sang eine klagende Melodie. Die Luft roch nach einer Mischung aus Curry und Anis.
    Eine etwa sechzigjährige Frau in einem Sari begrüßte mich. »Er sitzt dort drüben.« Sie zeigte auf einen Tisch an der Rückwand. Es wäre kein Hinweis nötig gewesen; Milo war der einzige Gast.
    Vor ihm standen ein Literglas mit einer Flüssigkeit, die wie Eistee aussah, und ein Teller mit frittierten Gebäckstücken in verschiedenen geometrischen Formen. Sein Mund war voll, und er winkte mir zu und kaute weiter. Als ich am Tisch ankam, erhob er sich halb, wischte sich Fett vom Kinn, spülte einen baseballgroßen Bissen runter, der seine Wangen Orang-Utan-mäßig aufblähte, und schüttelte mir die Hand.
    »Die gemischte Hors d’oeuvre-Kombi«, sagte er. »Greif zu. Ich habe Vorspeisen für uns beide bestellt – Chicken tali mit Reis und Linsen, Gemüse als Beilage, mit allem Drum und Dran. Das Gemüse ist Okra. Was normalerweise etwa so interessant ist wie Rotz auf Toast, aber die machen es gut hier. Auch ein bisschen Mango Chutney extra.«
    »Hallo«, sagte ich.
    Die schüchterne Frau brachte ein Glas, goss mir Tee ein und ging wieder.
    »Eiskalt und gewürzt, jede Menge Nelken«, sagte er. »Habe ich mir gleichfalls erlaubt.«
    »Wie schön, umsorgt zu werden.«
    »Tatsächlich?« Er griff nach einem dreieckigen Stück Gebäck, murmelte: »Samosa«, und blickte mich aus halb verhangenen hellgrünen Augen an. Seitdem Robin ausgezogen war, hatte ich ihn davon zu überzeugen versucht, dass es mir gut ging. Er behauptete, er glaube mir, aber seine Körpersprache sagte, dass er sich ein endgültiges Urteil vorbehielt.
    »Niemand umsorgt den armen Detective?«, sagte ich.
    »Will ich nicht. Zu tough.« Er zwinkerte mir zu.
    »Wie geht’s dir so?«, fragte ich, vor allem, um zu verhindern, dass er sein Augenmerk auf meine Stimmung richtete.
    »Die Welt fällt auseinander, aber mir geht’s prima.«
    »Macht die freiberufliche Arbeit immer noch Spaß?«
    »So würde ich es nicht nennen.«
    »Wie würdest du es nennen?«
    »Bürokratisch sanktionierte Isolation. Man gestattet mir nicht, Spaß zu haben.« Er bleckte die Zähne zu einem Lächeln, wie mir klar war; ein anderer hätte es für ein Zeichen von Aggressivität halten können. Ich sah zu, wie er sich ein weiteres Appetithäppchen in den Rachen warf und mit Tee nachspülte.
    Im letzten Jahr war er mit dem Polizeichef aneinander geraten, bevor dieser pensioniert wurde, hatte nicht ungeschickt taktiert und schließlich den Titel und das Gehalt eines Lieutenants bekommen, aber nicht den Schreibtischjob, der mit dieser Beförderung einherging.
    Nachdem er effektiv aus dem Großraumbüro des Morddezernats verbannt war, wurde ihm ein eigenes fensterloses Büro im Korridor zugewiesen – ein modifiziertes Vernehmungszimmer, im übertragenen Sinn meilenweit von den anderen Detectives entfernt. Sein offizieller Titel lautete »Klärungsbeamter« für ungelöste Mordfälle. Das bedeutete im Wesentlichen, dass er entscheiden musste, welche kalten Fälle bearbeitet und welche ignoriert werden sollten. Das Gute daran war die relative Unabhängigkeit. Das Schlechte, dass er auf keinerlei Unterstützung durch das Department hoffen konnte.
    Jetzt arbeitete er an einem aktuellen Fall. Ich nahm an, dafür gab es eine Erklärung und er würde sie mir geben, wenn er dazu bereit war.
    Er sah fit aus, und die Klarheit seiner Augen ließ vermuten, dass er an seinem Entschluss festhielt, weniger Alkohol zu trinken. Er hatte auch beschlossen, zur körperlichen Ertüchtigung mit dem Gehen anzufangen, aber die letzten paar Male, als ich ihn sah, hatte er über Schmerzen in seinem Spann geklagt.
    Heute trug er eine grobe braune Sportjacke mit Fischgrätmuster, die viel zu schwer für einen kalifornischen Frühling war, ein ehedem weißes bügelfreies Hemd und eine grüne, mit blauen Drachen bestickte Krawatte. Seine schwarzen Haare waren im üblichen Stil frisch geschnitten: oben lang und zottig, an den Schläfen kurz geschoren. Die inzwischen schneeweißen Koteletten gingen ihm bis zu den fleischigen Ohrläppchen. Er nannte sie seine Skunk-Streifen. Die Beleuchtung des Restaurants war gnädig zu seinem Teint und präsentierte manche seiner Aknenarben als kantige Gesichtszüge.
    »Die Künstlerin hieß Juliet Kipper, genannt Julie«, erklärte er.

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