Blutnacht
Basmatireis, Linsen, grüner Salat, Okra, Nan-Brot, Tandoori Chicken. Ein Schälchen mit Mango Chutney.
»Nettes Sortiment, oder?«, sagte Milo und nahm sich einen Hähnchenflügel.
»Glaubst du, der Mörder ist durch die Gasse reingekommen? War die Hintertür mit Gewalt geöffnet worden?«
»Nein.«
»Wie bald nach zehn ist Julie nach hinten aufs Klo gegangen?«
»CoCo kann sich nicht entsinnen. Ihrer Erinnerung zufolge wurde ihr, kurz bevor sie nachsehen ging, klar, dass Julie schon eine Zeit lang weg war. Aber sie waren beide mit Saubermachen beschäftigt gewesen. Schließlich musste sie selbst mal, ging nach hinten, klopfte an die Klotür, und als Julie nicht antwortete, machte sie die Tür auf.«
»Eine Tür mit Schnappschloss?«
Er dachte nach. »Eins von diesen Druckknopf-Dingern.«
»Also hatte der Mörder nicht abschließen wollen.«
»Oder er hat’s vergessen.«
»Jemand, der Handschuhe mitbringt und seinem Opfer auflauert, würde es nicht vergessen.«
Er rieb sich das Gesicht. »Okay, was für Schlüsse ziehst du daraus?«
»Er will angeben«, sagte ich. »Zur Schau stellen, was er getan hat. Du hast gesagt, das Opfer wäre in eine sexuelle Pose gebracht worden.«
»Slip auf die Knöchel heruntergezogen, Beine gespreizt, Knie auseinander gedrückt. Keine blauen Flecken, keine Penetration. Sie lag zwischen Toilette und Waschbecken auf dem Rücken. Sie muss dort hineingequetscht worden sein – hinfallen könnte man so nicht.« Er wischte sich Haare aus der Stirn und aß weiter.
»Wie war sie an diesem Abend gelaunt?«
»CoCo Barnes sagt, sie wäre bester Laune gewesen, weil der Abend ein solcher Erfolg war.«
»Sechs von fünfzehn Gemälden verkauft.«
»Offenbar ist das großartig.«
»Bester Laune«, sagte ich. »Mit oder ohne Unterstützung?«
Er legte seine Gabel hin. »Warum fragst du?«
»Du hast gesagt, Julies Karriere hätte nach den Anfangserfolgen einen Knick gehabt. Ich frage mich, ob irgendwelche schlechten Angewohnheiten dazwischengekommen sind.«
Er nahm die Überreste des Hähnchenflügels in die Hand, studierte sie und begann Knochen zu zerknacken. Er musste sie fein genug zermahlen haben, um sie schlucken zu können, denn es kam nichts mehr zum Vorschein. »Yeah, sie hatte Probleme. Und da wir schon mal dabei sind, Dr. Clairvoyance, haben Sie irgendwelche Börsentipps?«
»Stopf dein Geld in die Matratze.«
»Vielen Dank … Yeah, in ihrer New Yorker Zeit hat sie sich jede Menge Kokain und Alkohol einverleibt. Hat offen darüber gesprochen, alle anderen Künstler der Kooperative wussten Bescheid. Aber jeder, mit dem ich bis jetzt gesprochen habe, sagt, dass sie clean war. Ich hab selbst ihre Wohnung auf den Kopf gestellt, und das härteste Rauschmittel in ihrem Arzneischränkchen war Midol. Das stärkste Medikament in ihrem Kreislauf zum Zeitpunkt ihres Todes war dem Gerichtsmediziner zufolge Aspirin. Es sieht also so aus, als ob sie die gute Laune ihrem Selbstvertrauen zu verdanken hatte.«
»Bis jemand sie zum Absturz gebracht hat«, sagte ich. »Und den Sturz sorgfältig geplant hat. Jemand, der mit der Galerie so vertraut war, dass er wusste, dass das Klo ein relativ sicherer Ort wäre, um erledigen zu können, was er sich vorgenommen hatte. Gibt es irgendwelche Anzeichen dafür, dass sie sich mit jemandem nach der Vernissage treffen wollte?«
»Sie hat niemandem gegenüber eine Verabredung erwähnt, und ihr Terminkalender war bis auf die Ausstellungseröffnung leer.«
»Posen, aber keine Vergewaltigung. Das könnte jemand sein, der wollte, dass es nach einem Sexualverbrechen aussieht.«
»Das ist auch mein Eindruck. Das Ganze ist für einen Sexualmord viel zu ausgeklügelt.«
»Fast wie ein Kunstwerk«, sagte ich. »Performance Art.«
Seine Kiefermuskeln traten hervor.
»Warum hast du diesen Fall übernommen?«, fragte ich.
»Aus persönlicher Gefälligkeit. Ihre Familie kannte meine Familie in Indiana. Ihr Dad hat mit meinem in derselben Fabrik gearbeitet. Eigentlich war er einer der Arbeiter, die mein Dad am Fließband beaufsichtigt hat. Er ist tot und Julies Mutter auch, aber der Bruder des Vaters – Julies Onkel – ist mit dem Flugzeug hierher gekommen, um die Leiche zu identifizieren, hat sich mit mir in Verbindung gesetzt und mich gebeten, den Fall zu übernehmen. Etwas mit einer persönlichen Beziehung war wirklich das Letzte, was ich wollte, aber ich hatte keine Wahl. Der Kerl hat so getan, als wäre ich ein gottverdammter Sherlock
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