Blutnacht
immer fest entschlossen abzunehmen.« Sie schniefte. »Trotz allem, was er durchgemacht hatte, hörte er nie damit auf, sich besser machen zu wollen. Als er einmal ziemlich deprimiert war, sagte er zu mir: ›Gott hat Scheiße gebaut, als er mich erschaffen hat. Mein Job ist es, sauber zu machen.«‹
Sie brach in Tränen aus, und Petra legte ihr den Arm um die Schultern. Zwei Cops in Uniform marschierten durch den Eingang und stolzierten durch die Halle. Machten sich nicht die Mühe, die weinende Frau zur Kenntnis zu nehmen. Von denen sahen sie eine Menge.
6
Am Donnerstag nach dem Mord an Baby Boy Lee klingelte es an meiner Haustür. Ich hatte den ganzen Nachmittag Gutachten fürs Gericht getippt, bis mir Worte und Weisheit ausgegangen waren, und beim Chinesen Essen bestellt.
Ich schnappte mir Trinkgeld und trottete von meinem Arbeitszimmer zum Wohnzimmer, riss die Tür auf und stand vor Robin. Sie hatte mir ihren Schlüssel nie ausgehändigt, benahm sich aber wie ein Gast.
Was sie wohl auch war.
Sie sah das Trinkgeld und lächelte. »So leicht bin ich nicht zu kaufen.«
Ich steckte das Geld in die Tasche. »Hallo.«
»Komme ich ungelegen?«
»Natürlich nicht.« Ich hielt die Tür auf, und sie betrat das Haus, das wir zusammen entworfen hatten. Ich sah zu, wie sie durch das Wohnzimmer wanderte, als wollte sie sich wieder mit dem Raum vertraut machen. Als sie sich auf die Sofakante setzte, ließ ich mich ihr gegenüber nieder.
»Du hast von Baby Boy gehört«, sagte sie.
»Petra rief mich an, weil sie nach dir Ausschau hielt.«
»Ich war gerade drüben im Polizeirevier und hab mit ihr gesprochen.« Sie starrte an die Decke. »Noch nie ist jemand ermordet worden, der mir nahe gestanden hat … all die Jahre, die ich mit dir zusammen war, bin ich immer am Rand geblieben.«
»Du hast nichts verpasst.«
Sie spielte mit einem Ohrring. »Es ist abscheulich – dieses Gefühl, dass er nicht mehr da ist. Es erinnert mich an den Tod meines Vaters. Es ist natürlich nicht das Gleiche. Ich mochte Baby gern, aber er gehörte nicht zur Familie. Trotzdem, aus irgendeinem Grund …«
»Baby war ein guter Mensch.«
»Ein großartiger Mensch«, sagte sie. »Wer würde ihm etwas antun wollen?« Sie stand auf und ging noch ein wenig umher. Hängte ein Bild gerade. »Ich hätte nicht so bei dir reinplatzen sollen.«
Ich sagte: »Geht Petra irgendwelchen Hinweisen nach?«
Sie schüttelte den Kopf.
»Irgendwas im Zusammenhang mit seinem Lebensstil? War Baby wieder drogenabhängig?«
»Nicht dass ich wüsste«, erwiderte sie. »Die letzten paar Male, als er vorbeikam, sah er clean aus, oder?«
»Soweit ich das sagen kann.« Dabei hatte ich Baby Boys Benehmen wenig Aufmerksamkeit gezollt. Das letzte Mal, als er eine Gitarre vorbeigebracht hatte, war Musik aus Robins Studio ins Haus gedrungen, und ich war rübergegangen, um zuzuhören. Baby Boy hatte die Tür zum Studio offen gelassen, und ich stand da und sah und hörte zu, während er seine alte akustische Gibson wie einen Säugling wiegte, ein paar Akkorde in d-Moll anschlug und leise, sanft und schmerzerfüllt dazu sang.
»Aber was weiß ich denn schon?«, sagte Robin. »Vielleicht war er wieder in die schlechten Gewohnheiten früherer Tage verfallen. Was wissen wir überhaupt über einen anderen Menschen?« Sie rieb sich die Augen. »Ich hätte nicht kommen sollen. Es war rücksichtslos.«
»Wir sind immer noch Freunde.«
»Richtig«, sagte sie. »So lautete die Abmachung, als Freunde auseinander gehen. Ist das für dich immer noch akzeptabel?«
»Wie kommst du damit zurecht?«
»Ganz gut.« Sie stand auf. »Ich muss jetzt los, Alex.«
»Dinge erledigen, Sachen ansehen?«, sagte ich. Warum war sie gekommen? Brauchte sie eine Schulter zum Ausweinen? War Tims Schulter defekt? Ich merkte, dass ich wütend war, aber auch auf seltsame Weise erfreut – sie hatte mich gewählt.
»Nichts Dringendes«, erwiderte sie. »Ich gehöre nicht hierher.«
»Du gefällst mir hier.« Warum hatte ich das gesagt?
Sie kam zu mir, fuhr mir durchs Haar, küsste mich auf die Stirn. »Es gab mal eine Zeit, da wären wir damit du-weißt- schon-wie fertig geworden.«
»Wie?«
Sie lächelte. »Es gab mal eine Zeit, da hätten wir das Tier mit den zwei Rücken gespielt. Auf diese Weise sind wir immer mit Stress umgegangen.«
»Ich kann mir schlechtere Methoden der Stressbewältigung vorstellen.«
»Absolut«, sagte sie.
Sie ließ sich auf meinem Schoß nieder, und wir küssten
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