Blutnacht
stand in schwarzen Plastikbuchstaben:
LIGHT AND SPACE: EIN ORT DER KUNST.
Massive Kombinationsschlösser sicherten die äußeren Tore, aber das in der Mitte war nur mit einem einzelnen Riegelschloss versehen, das auf einen Schlüssel an Milos Bund reagierte. Er schob, und das Metalltor glitt nach oben.
»Sie haben dir einen Schlüssel gegeben?«, sagte ich.
»Mein ehrliches Gesicht«, erwiderte er, trat ein und schaltete das Licht ein.
Der Innenraum hatte rund fünfhundert Quadratmeter. Die Wände waren in dem Eierschalenweiß gestrichen, das das Beste aus Kunst herausholt. Ansonsten: grauer Zementboden, sieben Meter hohe Decke, unter der kreuz und quer Rohre und Leitungen verliefen, und mehrere Strahler, die ihr gebündeltes Licht auf einige große, ungerahmte Gemälde warfen.
Kein Mobiliar bis auf einen Schreibtisch im Eingangsbereich, auf dem Broschüren lagen und ein CD-Player stand. Die nächste Wand war mit den gleichen schwarzen Plastikbuchstaben beschriftet wie die Außenseite des Gebäudes.
Juliet Kipper
Air and Image
Derselbe Titel auf den Broschüren. Ich nahm mir eine, überflog ein paar Absätze Kunstjargon, blätterte um, bis ich auf ein Schwarz-Weiß-Porträt der Künstlerin stieß.
Juliet Kipper hatte in einem schwarzen Rollkragenpullover und ohne Schmuck posiert, ihr Gesicht wirkte bleich vor dem mattgrauen Hintergrund. Ein eckiges Gesicht, nicht unattraktiv unter kurz geschnittenem platinblondem Haar. Blasse, tief liegende und wachsame Augen forderten die Kamera heraus. Ihr Mund war grimmig – an den Winkeln heruntergezogen. Eine kurze, unregelmäßige Ponyfrisur entblößte eine gefurchte Stirn. Äußerst konzentriert. Oder gestresst. Entweder hatte sie sich Mühe gegeben, in die Rolle der geplagten Künstlerin zu schlüpfen, oder sie sah immer so aus.
Milos Schritte hallten von den Wänden der Galerie wider, während er sich von Bild zu Bild bewegte. Ich tat es ihm nach.
Eine süffisante Psycho-Vorhersage von Julie Kippers Kunst, die sich an der Freudlosigkeit ihres Porträts orientiert hätte, wäre in sich zusammengefallen. Sie hatte fünfzehn leuchtende Landschaften erschaffen, überschwänglich in Farbe und Textur, jede gekennzeichnet durch die meisterhafte Beherrschung von Komposition und Licht.
Ausgetrocknete Arroyos, nebelumhüllte, rasiermesserscharfe Berge, tosende Wasserfälle, die sich in spiegelglatte Flüsse ergossen, dunkelgrüne, von goldenen Eruptionen durchbohrte Wälder, die ferne Entdeckungen verhießen. Zwei Meeres-Nocturnes wurden von azurblauen Himmeln und einem zitronengelben Mondschein belebt, der die Brandung in Schaum verwandelte. Jedes Gemälde wies den selbstsicheren Pinselstrich eines Menschen auf, der gewusst hatte, wie man Pigmente auf einer Leinwand verteilt. Farbschichten schienen zu fluoreszieren; in weniger erfahrenen Händen wären die Bilder in Kitsch für Touristen abgeglitten.
Die Preise lagen zwischen zwei- und viertausend Dollar. Ich widmete den Gemälden einen zweiten Blick, suchte nach vertrauten Schauplätzen und fand keine. Dann las ich die Bildtitel:
Traum I, Traum II, Traum III …
Juliet Kipper hatte sich ihr eigenes Terrain erschaffen.
»In meinen Augen war sie ein großes Talent«, erklärte ich. Meine Stimme hallte in dem nahezu leeren Raum wider.
Milo sagte: »Mir gefallen ihre Sachen auch, aber ich hab eigentlich keine Ahnung. Komm mit, ich will dir zeigen, wo sie gestorben ist.«
Die Toilette war für uns beide zu klein, und Milo wartete draußen, während ich die Stelle inspizierte, wo Julie Kipper erdrosselt worden war.
Ein hässlicher kleiner Raum, ohne Fenster, unangenehm feucht. Das Waschbecken hatte einen Sprung, die Wasserhähne waren oxidiert. Schwarze Schimmelfäden wanden sich in den Ecken.
Bei all dem Schmutz wären mir die schwachen braunen Flecken auf dem Zementboden nicht aufgefallen, wenn ich nicht Bescheid gewusst hätte.
Ich verließ die Toilette rückwärts, und Milo zeigte mir den Rest der hinteren Räumlichkeiten. Ein großer Lagerraum auf der linken Seite war mit ungerahmten Bildern und Büromaterialien und nicht zueinander passenden Billigmöbeln voll gestellt. Die Herrentoilette war weder großzügiger noch attraktiver.
Quer über die Hintertür der Galerie verlief ein Vorschieberiegel.
»Noch ein automatischer Schließmechanismus«, sagte ich. »Noch ein bewusster Versuch, zur Entdeckung einzuladen.«
»Ein Exhibitionist.«
»Aber er hat es unter Kontrolle. Jemand, der wohl überlegt
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