Blutnacht
reden.«
»Ich glaube, er ist nicht hier. Ich hab ihn … hmm … vielleicht vor zwei, drei Tagen gesehen. Ich hab ihn hinten getroffen, als ich den Müll raustrug. Er ist gerade in seinen Wagen gestiegen. Seinen Honda.«
Die Zulassungsstelle hatte einen fünf Jahre alten Civic angegeben. Aber Petra erinnerte sich an den roten Accord auf der Zufahrt vor Frank Drummonds Haus und fragte: »Welche Farbe?«
»Weiß«, antwortete Guadalupe Santos.
»Also ist Mr. Drummond seit drei Tagen nicht hier gewesen?«
»Vielleicht geht er rein und raus, wenn ich schlafe, aber ich sehe ihn nicht.«
»Keine Probleme mit ihm?«
»Angenehmer Mieter«, sagte Santos. »Er zahlt seine Miete sechs Monate im Voraus, macht keinen Lärm. Ich wünsche, sie wären alle so.«
»Hat er irgendwelche Freunde? Regelmäßige Besucher?«
»Er hat keine Freundin, wenn Sie das meinen. Oder einen Freund.« Santos lächelte gequält.
»Ist Yuri schwul?«
Santos lachte. »Nein, ich mach nur Spaß. Hier ist Hollywood, wissen Sie.«
Stahl fragte: »Überhaupt keine Besucher?«
Santos wurde ernst. Stahls ansteckende Liebenswürdigkeit. »Jetzt, wo ich darüber nachdenke, Sie haben Recht. Niemand. Und er kommt und geht nicht oft. Nicht der ordentlichste Junge, aber das ist seine Angelegenheit.«
Petra sagte: »Sie waren in seinem Apartment.«
»Zweimal. Er hatte eine undichte Toilette. Und ein anderes Mal musste ich ihm zeigen, wie man die Heizung bedient – er ist technisch nicht sehr begabt.«
»Ein Ferkel, oder?«, sagte Petra.
»Er ist nicht schmutzig«, erwiderte Santos. »Er ist nur einer von diesen Leuten, die sich von nichts trennen können, verstehen Sie?«
»Er leidet an Sammelwut?«
»Genau. Es ist nur ein Zimmer, und er hat es voll gestellt mit Kartons. Ich kann Ihnen nicht sagen, was in denen drin ist, es sieht bloß so aus, als würde er nie was wegwerfen – oh ja, bei einem hab ich gesehen, was drin ist. Diese kleinen Autos – Matchbox. Mein Sohn hat sie mal gesammelt, aber nicht so viele wie Yuri. Nur ist Tony jetzt zu groß dafür. Er ist bei den Marines, drüben in Camp Pendleton. Er ist Ausbildungssergeant, war einige Zeit in Afghanistan, mein Tony.«
Petra bekundete mit einem anerkennenden Nicken Respekt für Sergeant Tony Santos. Dann sagte sie: »Also sammelt Yuri Zeug.«
»Eine Menge Zeug. Aber wie ich sagte, er ist nicht schmutzig.«
»Was für eine Arbeit hat er?«
»Ich glaube, er arbeitet gar nicht«, antwortete Guadalupe Santos. »Wo sein Daddy die Miete zahlt und so, da hab ich mir gedacht, er … Sie wissen ja.«
»Was?«
»Jemand mit … ich will nicht sagen Probleme. Jemand, der nicht regelmäßig arbeiten kann.«
»Was für Probleme?«, fragte Petra.
»Ich will nicht sagen … er ist einfach so still. Geht mit dem Kopf nach unten. Als ob er nicht reden will.«
Großer Unterschied zu dem penetranten Kerl, der Petra zugesetzt hatte. Kevin besaß offenbar eine ziemliche Bandbreite.
Sie zeigte Santos Kevin Drummonds Foto von der Zulassungsstelle. Verschwommenes Bild, fünf Jahre alt. Magerer Junge mit dunklen Haaren und einem unauffälligen Gesicht. Braun und braun; 1,88; 62; Sehhilfe erforderlich.
»Das ist er«, sagte Santos. »Groß – er trägt eine Brille. Seine Haut ist nicht besonders gut – hier und hier hat er ein paar Pickel.« Sie tippte sich an die Wange und an die Schläfe. »Als wenn er es schlimm gehabt hätte, als er jünger war, wissen Sie, und es ist nicht alles verheilt.«
Eins achtundachtzig passte zu Linus Brophys Beschreibung von Baby Boys Mörder. Wäre ein magerer Junge in der Lage gewesen, Vassily Levitch zu überwältigen? Bestimmt, wenn man das Überraschungsmoment einkalkulierte.
»Schüchtern«, sagte Petra. »Was noch?«
»Er ist wie einer von diesen – jemand, der gerne Computer hat, ungestört sein will, wissen Sie? Er hat auch riesige Mengen von Computerzeug dort oben. Ich verstehe nicht viel von diesen Sachen, aber es sieht teuer aus. Wo er die Miete im Voraus zahlt, hab ich nur gedacht … er ist jedenfalls ein guter Mieter. Keine Probleme. Ich hoffe, er steckt nicht in Schwierigkeiten.«
»Sie würden ihn nicht gern als Mieter verlieren«, sagte Stahl.
»Auf keinen Fall«, erwiderte Santos. »In diesem Geschäft weiß man nie, was man reinbekommt.«
Auf dem Weg zurück zum Revier, als die Sonne gerade begann unterzugehen, erblickte Petra einen alten Mann und eine alte Frau, die langsam die Fountain Avenue entlang gingen, gefolgt von einer großen weißen
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