Blutnacht
Ente mit gelbem Schnabel.
Sie blinzelte, um sicherzugehen, dass sie keine Halluzination hatte, hielt an und fuhr rückwärts, bis sie auf einer Höhe mit dem Paar war. Sie trotteten weiter, und Petra hielt mit ihnen Schritt. Zwei Zwerge in schweren Mänteln und Strickmützen, die dabei waren, sich zu androgynen Zwillingen zu entwickeln, wie es sehr alte Leute manchmal tun. Neunzig oder kurz davor. Jeder Schritt war mühsam. Die Ente trug keine Leine und ging wenige Zentimeter hinter ihnen her.
Der Mann schaute herüber, berührte die Frau am Arm, und beide blieben stehen. Lächelten nervös. Wahrscheinlich hatten sie irgendeine Vorschrift verletzt, was die Haltung von Haustieren anging, aber wer kümmerte sich schon um so etwas?
»Nette Ente«, sagte Petra.
»Das ist Horace«, erklärte die Frau. »Er ist seit langem unser Baby.«
Der Enterich hob einen Fuß und kratzte sich am Bauch. Kleine schwarze Augen schienen sich in Petras zu bohren. Ein Beschützer.
Sie sagte: »Hallo, Horace.«
Der Enterich plusterte sich auf.
»Einen schönen Tag noch«, sagte sie und fuhr weiter.
Stahl fragte: »Was war das?«
»Die Realität.«
20
Zwei Tage nach dem Treffen mit Petra und Stahl bat Milo mich, ihn zu einem zweiten Gespräch mit Everett Kipper zu begleiten.
»Diesmal schauen wir einfach vorbei«, sagte er. »Ich habe vorher angerufen, aber Kipper hat den ganzen Tag Besprechungen.«
»Warum das erneute Interesse?«, sagte ich. »Ich will mit ihm über GrooveRat reden und sehen, ob Yuri Drummond je ein Interesse daran geäußert hat, Julie zu interviewen. Petra und Stahl haben noch keine aktuellen Hefte in die Finger bekommen, aber Drummond sieht immer interessanter aus. Er ist ein vierundzwanzig Jahre alter Einzelgänger, heißt mit Vornamen eigentlich Kevin und wohnt in einer Einzimmer-Bude in einem schäbigen Abschnitt der Rossmore. Ist seit mehreren Tagen nicht gesehen worden – ist das nicht bemerkenswert? Das Magazin klingt nach einem Unternehmen aus Eitelkeit, nach jemandem, der sich Illusionen macht. Daddy ist Anwalt, zahlt die Miete und wahrscheinlich die Druckkosten. Petra hat kaum etwas aus ihm rausgekriegt.«
»Er ist Anwalt«, sagte ich.
»Petra hat eindeutige interfamiliäre Spannungen festgestellt. Kevin klingt wie der Familienspinner, und Daddy war definitiv nicht erfreut, mit anderen über ihn zu diskutieren.«
»Ein Einzelgänger«, sagte ich.
»Was für ein Schock, nicht? Er ist bekannt dafür, von einem Projekt zum anderen zu springen – von Obsession zu Obsession. Genau die fanatische Persönlichkeit, die du beschrieben hast. Außerdem ist er ein leidenschaftlicher Sammler. Seine Vermieterin sagt, dass sein Apartment mit Kartons voll gestellt ist. Einschließlich Spielzeug. Also sind vielleicht auch Mordtrophäen Teil seiner Sammlung. Mit dem Magazin hat er in seinem letzten Jahr auf dem College angefangen. Petra hat ein unvollständiges Heft ausfindig gemacht, und Drummond hat sich im Impressum als gesamtes Redaktionsteam aufgeführt. Er verlangte eine exorbitante Summe für das Abonnement, aber es gibt keine Anzeichen dafür, dass jemand bezahlt hat.«
»Wo hat er studiert?«
»Am Charter College, das ziemlich wählerisch ist, also ist er vermutlich ein schlauer Bursche – wie du gesagt hast. Und er ist groß – eins achtundachtzig –, was dazu passen würde, was der Penner gesehen hat. Alles in allem kein schlechter Kandidat. Stahl überwacht sein Apartment, und Petra versucht immer noch, mehr über GrooveRat herauszubekommen – festzustellen, ob jemand für den Vertrieb zuständig war. Wenn wir alte Ausgaben ausfindig machen und die Artikel über Baby Boy und China und eventuell auch über Julie finden können, werden wir einen Durchsuchungsbefehl beantragen und keinen kriegen. Aber es ist ein Anfang.«
Die Art, wie die Morde in Szene gesetzt worden waren, hatte mich an einen Mörder zwischen Anfang dreißig und Ende vierzig denken lassen, und vierundzwanzig schien jung zu sein. Aber vielleicht war Kevin Drummond frühreif. Und zum ersten Mal seit Julie Kippers Ermordung klang Milos Stimme unbeschwert. Ich hielt den Mund. Und fuhr nach Century City.
Derselbe eiförmige Empfangsraum, dieselbe Frau mit den vielen weißen Zähnen am Empfang. Diesmal keine anfängliche Besorgnis, nur ein kühles Lächeln. »Mr. Kipper ist zum Mittagessen gegangen.«
»Wohin, Ma’am?«
»Das weiß ich nicht.«
Milo fragte: »Sie haben keinen Tisch für ihn reserviert?«
»Keine
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