Blutnebel
Aufzeichnungen zu vernichten, die sie verfasst hat.«
»Es sei denn, er hat einen der Briefe in die Finger bekommen, entdeckt, dass sie ihn bei ihren Eltern anschwärzt, und dann die Aufzeichnungen, die sie gemacht hat, genauer unter die Lupe genommen.« Da sie Bewegung brauchte, schob sie ihren Stuhl zurück und ging im Zimmer auf und ab. »Ihr Leben hat garantiert ständig unter Beobachtung gestanden. Die Leute haben sich alle gegenseitig überwacht. Ruth muss ganz schön clever gewesen sein, wenn sie etwas in den Aufzeichnungen verstecken konnte, das niemand sonst aufgefallen ist. Doch die Tatsache, dass sie es irgendwie geschafft hat, Briefe an ihre Eltern zu schreiben und abzuschicken, beweist ja schon, dass sie ziemlich schlau war.«
»1892.« Dev blickte nachdenklich drein und starrte ins Leere.
»Was?«, fragte sie, als er nicht weitersprach.
»Ich muss gerade daran denken, was uns Donnelle über die Legende erzählt hat. Der rote Nebel wird etwa einmal in jeder Generation gesichtet. Das erste Mal war 1922.« Er hielt kurz inne. »So wie ich es zähle, wäre das genau nach dreißig Jahren. Vielleicht ist die Legende um den roten Nebel ja aufgrund von Ereignissen eine Generation früher entstanden, als wir dachten.«
Alles in ihr sträubte sich gegen seine Vermutung. Fakten. Er hatte ihr Fakten über die Existenz der Religion geliefert. Fakten, die nahelegten, dass Rufus Ashton ein krankes Schwein gewesen war. Doch sie war noch immer nicht bereit, den lokalen Aberglauben zu akzeptieren oder die neu ermittelten Informationen zu nutzen, um ihn zu stützen.
Sie war hier, um einen Mord aufzuklären. Einen in diesem Jahrhundert. Ihr Interesse an Ashtons Kirche der Hochheiligkeit beruhte einzig und allein darauf, dass es ihr den Hintergrund für das Profil lieferte, das sie entwickeln musste.
Ein Mann, der aufgrund der Glaubenssätze einer um 1870 entstandenen Sekte – sie würde den Teufel tun und das eine Kirche nennen – agierte. Ein Mann, der deren Glaubensgrundlagen für seine eigenen perversen Gelüste ausnutzte.
Ramsey hatte nichts, woran sie sich festhalten konnte, und war froh, dass Raiker nicht hier war und sie bei jeder Wendung herausforderte und damit zwang, ihre Mutmaßungen zu verteidigen. Seine Taktik hielt seine Experten wach und ließ sie hohe Ansprüche an ihre Schlussfolgerungen stellen. Doch was sie soeben in Betracht zog, war alles andere als exakt, sondern basierte auf wenigen Beweisen und viel Spekulation. Und das beunruhigte sie als Profi mehr als nur ein bisschen.
»Okay.« Sie warf Dev einen halb entschuldigenden, halb trotzigen Blick zu. »Das geht mir noch ein bisschen zu weit. Aber alles andere … ja, das könnte passen. Wo ist der letzte Band der Annalen? Haben wir den schon durch?«
Dev griff danach, und sie umrundete den Tisch, um ihm beim Durchblättern über die Schulter zu schauen. Beide lasen schweigend bis zur Mitte des Buchs.
»Ashton ist also im März 1898 gestorben.«
»Auch in diesem Fall hoffe ich, dass es eine Hölle gibt«, knurrte sie. »Offenbar haben sie eine spezielle Gruft für ihn gebaut.«
»Das Mausoleum kenne ich«, sagte er nachdenklich. »Der Friedhof grenzt direkt an Roses Grundstück. Es liegt im ältesten Teil des Geländes. Ich hab als Kind oft dort gespielt.«
Danach wurden die Aufzeichnungen sporadischer. Statt täglicher Einträge konnte es nun Wochen dauern, bis der nächste folgte. So ging es bis zum August, der wieder vollständig erfasst war.
»Sie haben die Gegend unter der Leitung eines neuen Führers verlassen«, murmelte sie und las aufmerksamer weiter. »Seitenweise geht es darum, dass die Region immer intoleranter wurde – sagten die, die im Glashaus saßen –, also sind sie nach Westen gezogen, um einen moralischeren Ort zu finden, an dem sie sich ansiedeln konnten.«
»Und danach kommt nichts mehr.« Dev schlug bedächtig das Buch zu. »Offenbar hatte der neue Führer kein Interesse daran, Aufzeichnungen anzufertigen.«
»Oder selbst wenn, sind die neuen Annalen vielleicht bei ihnen geblieben. Nur Rufus Ashtons Geschichte ist in der Stadt verblieben, die er selbst gegründet hat.«
Sie bestand darauf, die anderen Bücher ganz durchzusehen, da sie die nicht chronologisch studiert hatten, doch es kamen nur ganz wenige neue Informationen ans Licht. Ramsey saß gerade über dem letzten Band, als ein Wort sie förmlich ansprang. Gelbwurz.
Langsam und konzentriert las sie alles durch, ehe sie erklärte: »Die Verfasserin
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