Blutnebel
darüber nachgedacht hätte.« Sie grinste Ramsey schelmisch an. »Als wir Kinder waren, hat es einfach mehr Spaß gemacht, uns mit der Legende gegenseitig Angst einzujagen, wissen Sie?«
»Kann ich mir vorstellen.« Ramsey überlegte kurz. »Was ist mit den Einzelheiten, von denen Sie gesprochen haben? Die verschiedenen Versionen?«
»Da müssen Sie wirklich mit meiner Mama reden. Ich bringe bloß alles durcheinander. Konnte die Geschichten nie auseinanderhalten. Aber sie sind jedenfalls interessant.«
Ramsey nahm sich vor, der Sache nachzugehen. »Wie weit reicht dieses Muster zurück?«, fragte sie. »Der rote Nebel und die Morde, meine ich?«
Leanne lehnte sich zurück, als Dev am Tisch erschien und zwei Gläser mit schaumiger Zitronenlimonade vor ihnen abstellte. »Danke, lieb von dir.« Zu Ramsey sagte sie: »Wie lange? Keine Ahnung. Vielleicht hundert Jahre oder so.« Ihre Betonung ließ es mehr wie eine Frage als wie eine Aussage klingen. »Auf jeden Fall ist unbestritten, dass es ein Muster gibt. Es ist eben so etwas ganz Unerklärliches.«
Und was für ein Muster, stimmte ihr Ramsey im Stillen zu. Und genau so etwas Unerklärliches, dass Rollins es in ihrem vorherigen Gespräch komplett ausgeblendet hatte.
»Wo finde ich denn Ihre Mutter, wenn ich mehr über die Legende erfahren will?«
Leanne legte ihre Zigarette in den Aschenbecher, griff nach ihrem Glas und zog an dem Strohhalm. »Sie arbeitet Teilzeit in der Fabrik in Clayton. Das ist etwa fünfzehn Meilen von hier. Aber mittwochs ist sie meistens im Historischen Museum an der Main Street.«
»Sie können es gar nicht verfehlen.« Stryker meldete sich zum ersten Mal zu Wort, seit er an den Tisch zurückgekehrt war. »Die Fassade ist als getreues Abbild der Architektur des neunzehnten Jahrhunderts restauriert worden. Ein schmales graues Gebäude auf der Nordseite der Straße.«
»Ich werd’s mir merken.« Sie warf ihm einen vielsagenden Blick zu. »Das heißt, falls mir bis dahin nicht das Gehirn aus dem Kopf fällt.«
»Kommen Sie doch auch mal bei mir vorbei.« Leanne fasste herüber und fuhr Ramsey mit der Hand durch die Haare, woraufhin diese zusammenzuckte. »Entschuldigung.« Leanne lächelte reumütig. »Gewohnheit von mir. Ich bin die Besitzerin von Sharp Cuts an der Ecke Fünfte und Maple. Und Sie haben einen ziemlich guten Schnitt. Er muss nur mal nachgeschnitten werden.« Ihr Blick wurde prüfend. »Haben Sie Strähnchen drin?«
»Äh, nein.« Wie waren sie von jahrhundertealten Legenden und Todesfällen zu Frisurfragen gekommen?
Leanne zog eine ihrer zu perfekten Bogen gezupften Brauen in die Höhe. »Sie Glückliche. Wie gesagt, schauen Sie mal rein. Ich hab viel zu viel gequasselt und rein gar nichts über Sie erfahren. Wir machen auch Manis und Pedis.«
Ramsey musste so verständnislos geschaut haben, wie sie sich fühlte, denn die andere Frau hängte eine Erklärung an. »Maniküren und Pediküren. Das volle Programm.«
Ramsey verbarg ihre ungepflegten Nägel in den Handflächen und beschloss, dass es höchste Zeit war, sich zu verabschieden. »Ich muss zurück zu meinen … Begleitern. Hat mich gefreut, Sie kennenzulernen, Leanne. Wir sehen uns bestimmt bald wieder.« Allerdings nicht, indem sie sich einen Termin bei ihr geben ließ, so hoffte sie.
Beim Aufstehen warf sie einen Blick auf Stryker, der sie amüsiert musterte. »Bis bald«, sagte sie knapp, doch ihr Tonfall klang vielversprechend.
»Ich verlass mich drauf.« Er griff nach ihrem Glas und hielt es ihr hin. »Vergessen Sie Ihre Limonade nicht.«
Ramsey zögerte einen Moment lang, ehe sie ihm das Glas abnahm und zu ihrem Tisch zurückkehrte, wo mittlerweile ihr Essen auf sie wartete.
»Tut mir leid«, sagte sie, während sie auf ihren Platz rutschte und sich eine Serviette auf den Schoß legte. »Es hat länger gedauert, als ich dachte.«
Die beiden Männer aßen bereits. »Woher kennen Sie denn Stryker schon?« Powell schnitt ein Stück Hühnchen ab, steckte es sich in den Mund und kaute mit der resignierten Miene eines Mannes darauf herum, der aus reinem Kalorienbedarf isst, nicht aus Spaß.
»Er war am Ashton’s Pond, als ich mit Rollins dorthin gekommen bin.« Während sie ihr Steak zerteilte, berichtete sie den beiden kurz von ihrer ersten Begegnung.
»Ich frage mich, was sich Rollins dabei gedacht hat«, sagte Matthews, als sie geendet hatte. »Er weiß doch ganz genau, dass er keinen Privatmann an einem Tatort herumtrampeln lassen darf.«
»Dort
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