Blutnebel
frisch streichen müssen, weil sein Opa sich mit Ida Trivett darüber einig geworden war, dass wahrscheinlich er mit seiner Marotte die Farbe zum Abblättern gebracht hatte.
Ida war letzten Winter mit vierundachtzig Jahren gestorben, und ihr Tod hatte ihm nur allzu deutlich vermittelt, dass seine Zeit mit seinem Großvater zur Neige ging. Benjamin war zwar fünf Jahre jünger als seine Nachbarin, doch sein letzter Schlaganfall hatte ihn so geschwächt, dass sein Umzug in die Einrichtung für betreutes Wohnen der einzig gangbare Weg gewesen war.
Die Zeit, da seine engsten Verwandten in dieser Stadt verschwunden sein würden, rückte näher. Er trat nach einem Stein auf dem Gehweg, nur um ihn davonkullern zu sehen, und sann über diese Zukunft nach. Er war in Buffalo Springs geboren und hatte die meisten Sommer hier verbracht. Ja, er war sogar hier zur Highschool gegangen. Würde diese Bindung mit Benjamins Tod nachlassen?
Unwahrscheinlich. Er schlug den schmalen Fußweg zu dem akkurat in Schuss gehaltenen anderthalbstöckigen Haus mit seiner breiten Veranda ein. Diese Stadt hatte ihn im Griff. Seit jeher.
Und mindestens noch so lange, bis er die Vergangenheit ein für alle Mal ad acta legen konnte.
Er ging hinein, fuhr den Computer hoch und lud die Spracherkennungssoftware, die garantiert einmal als eine der nützlichsten Erfindungen der Menschheit in die Geschichte eingehen würde.
Dann nahm er den Recorder aus der Tasche, spulte zurück und drückte auf »Play«. Der Computer würde die Aufzeichnung von dem Interview mit Robbie schriftlich erfassen, und Dev müsste hinterher nur noch alles durchredigieren.
Er zog sich mit dem Fuß einen Hocker heran und setzte sich auf den Computerstuhl, ehe er mit hochgelegten Beinen kritisch dem Interview lauschte. Neue Informationen hatte er dadurch zwar keine gewonnen, doch er wollte mit jedem Teenager sprechen, der im Wald dabei gewesen war, und auch jeden anderen befragen, der behauptete, den roten Nebel gesehen zu haben.
Er war bereits zu dem Schluss gekommen, dass Silas Parker schwindelte. Seine Schilderung passte nicht zu denen der anderen und war überhaupt sehr vage. Dev war es gewohnt, Tatsachen von Erfindungen zu unterscheiden, da er Routine darin hatte, Berichten über paranormale Phänomene auf den Grund zu gehen. Es kam nicht selten vor, dass jemand behauptete, etwas erlebt zu haben, was gar nicht stimmte. Dev waren sie fast lieber als diejenigen, die felsenfest davon überzeugt waren, sie hätten etwas erlebt, obwohl sämtliche Anzeichen auf das Gegenteil hinwiesen.
Er streifte die Schuhe ab, kreuzte die Füße und sah gemütlich zu, wie Robbie Joes Worte über den Bildschirm tanzten.
Mark zufolge war man im Sheriffbüro zu dem Schluss gekommen, dass an dem Abend im Wald keiner der anderen Teenager hinter Robbie Joe und Becky gewesen war. Nachdem die beiden die Leiche gefunden hatten, war mehrere Minuten lang niemand sonst dort aufgetaucht, und sie waren allesamt aus einer anderen Richtung gekommen.
Was die Leuchtkäfertheorie betraf … Dev lauschte erneut, während der Junge sie beide davon zu überzeugen versuchte, dass Insekten die Lichter erzeugt hatten, die die Teenager gesehen hatten. Obwohl er nicht versucht hatte, den Jungen davon abzubringen, hielt Dev diese Idee für ebenso unzutreffend.
Eine wahrscheinlichere Erklärung, so dachte er, während er die Arme hinter dem Kopf verschränkte und den vertrauten Riss in der Decke betrachtete, war, dass die Lichter irgendwelche Spiegelungen gewesen waren. Oder dass sie von jemandem stammten, der mit einer Taschenlampe hinter ihnen herging, wie Robbie vermutet hatte, aber nicht etwa seine Freunde, sondern jemand, der sich noch nicht gemeldet hatte. Vielleicht sogar der Täter selbst.
Dev hatte dies bereits seinem Cousin gegenüber erwähnt, und der Sheriff schien die Möglichkeit netterweise sogar in Betracht zu ziehen. Doch man hatte gleich gesehen, dass Mark nicht viel auf diese Theorie gab.
Natürlich konnte er auch in eine ganz andere Richtung sinnieren und sich fragen, ob die Lichter irgendwelche Geistererscheinungen waren.
Er hatte im Zuge seiner Arbeit schon Unmengen von »Beweisen« gesehen, die angeblich genau das waren – Lichtkugeln, die physikalische Manifestationen der Energie eines Geists darstellten. Und selbstverständlich hatte er die meisten dieser Vorfälle als Humbug entlarvt. Diejenigen, die fotografisch erfasst waren, konnte man meist schlechter Beleuchtung, Spiegelungen oder
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