Blutorangen
Correctional Center eingenistet hat. Dies ist ein Gefängnis mittlerer Größe mit rostfarbenen Blockhäusern und beigefarbenen Wachtürmen, die im Norden und im Süden aus der Mauer herausragen. Längliche Schlitze in den Türmen sehen aus wie die Augenpartien von Schweißermasken, nur daß sie vom Freeway aus nicht in den Hof starren, sondern auf dich schauen. Die Jungs bei »Sandy’s« können auf den Gold Strike herabblicken und einen Ausbruch lange genug planen, um die Zellen am Hang für den 10000-Dollar-Preis wegzublasen und dann abzuhauen. Ich hatte vergessen, was Nevada bedeutete.
Hier war ich in einem anderen Leben »Dusty Rose« und dann »Smokey Shannon« gewesen. Alias Samantha Monteil oder vielleicht anders herum. Meine Haare waren rot, meine Beine waren lang und als Kostüm trug ich weniger als ich jetzt nachts anziehe.
Vor 15 Jahren waren Stretch Jones und ich auf dem Weg nach San Francisco, >Frisco< nannten wir es, aber die Leute in San Francisco hassen das. Es war Mitte November. Ich hatte gerade die High School beendet, hatte verschiedene Jobs in Geschäften und versuchte zu entscheiden, ob ich einem Job in der Buchbinderei meines Vaters noch lange entgehen konnte oder ob ich aufs College gehen sollte, wie mein Biologielehrer es wollte. Ich habe mehr woanders als bei meinen Eltern in Camarillo gewohnt, einem verschlafenen Örtchen, 88 Kilometer südlich von Santa Barbara. An dem Tag, als ich Stretch kennenlernte, war ich gerade nach einem Streit aus dem Auto meines Freundes gesprungen und wollte per Anhalter auf der 101 im Regen weiterfahren. Nicht weit weg auf der Straße hielt ein Typ in einem gelben VW und fragte mich, ob er mich mitnehmen solle. Ich sagte nein, aber 800 Meter später sah ich ein Café und ging hinein. Dort stand er in seiner trockenen Jeansjacke und seinem Spitzbart, derselbe Typ wie in dem VW, trank heißen Tee und aß einen Hamburger. Er sah ein bißchen aus wie Ichabod Crane in Schulbüchern, falls der Jeansjacken und Liebesperlen getragen hätte. Wir redeten ein wenig. Er hatte einen stillen Humor und traurige braune Augen. Als es ans Bezahlen ging, grub er mit zwei Fingern in seiner Tasche, überprüfte sein Portemonnaie und hatte nicht genug Geld. Ich bezahlte ihm den Hamburger und lud ihn nach Hause ein.
Einige Tage später saßen wir zusammen im Auto, fuhren Richtung Norden nach Haight, weil da die Post abging. Tief in mir war ich unschlüssig, weil ich keine harten Drogen nehmen wollte und dort wäre die Versuchung groß. Peyote und andere Psychedelika gab es überall, auch in dem Mittelklassewohnsitz meiner Eltern, aber ich glaubte, daß es im Haight schlimmer wäre ohne meine natürliche Eltern-Kind-Rebellion, die eine Enthaltung zur Folge hatte. Stretch hatte die Idee, nach Nevada zu fahren und dort zu spielen, um zu sehen, ob wir gewinnen können. Wir kamen bis nach Jean, direkt an der Grenze. Ich sagte: »Wenn wir das machen wollen, dann sollten wir in die großen Casinos gehen, wo sie mehr Geld zu vergeben haben.« Ich sah ein Plakat, wo sie Debby Reynolds im Desert Inn anpriesen, und ich dachte, wow, auch wenn Debby Reynolds nicht das war, was sich ein Teenager unter cool vorstellte. Im Jahr zuvor hatte ich Valerie Perrine in Lenny gesehen. Was für eine tolle Sache, dachte ich, ein Showgirl zu sein, wie sie, oder Goldie Hawn, und dann einfach eine andere Karriere anzuschließen.
Wir fuhren von Jean weg und kamen um drei Uhr morgens in der »Stadt ohne Uhren« an. Wir hielten am ersten kleinen Casino außerhalb des Strip an, einem Ort, wo alte Wagenräder im Vorgarten standen und alles war vorbei. Stretch mit seinem schwarzen Haarband und Federohrring trank Jack Daniels, stand an den Automaten und sagte in einer honigsüßen Stimme zu mir: »Du machst deine Sachen und ich meine. Alles ist cool, Baby. Alles ist cool.«
Das tat ich dann auch. Das Problem war, daß es Stretchs Auto war und nur mein Rucksack und meine Decke. Ich ging zweimal dorthin zurück, um vernünftig mit ihm zu reden und sagte beim letzten Mal: »Okay, ich laß’ dir die Decke. Was passiert, wenn du im Auto übernachten mußt?« Und dann prasselten Geldstücke aus den Automaten und nach Rufen der Begeisterung sah er mich eine Sekunde lang feierlich an, nahm eine handvoll Geldstücke, zog mit der anderen Hand meine Tasche auf und füllte das Geld hinein. Er tat das so oft, bis ich mich wie ein Kängeruh mit zehn Babies fühlte und dann sagte er: »Hoppla du hast Schlagseite Schwester!«
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