Blutorangen
ebenmäßigen weißen Zähne entblößte und sagte: »Oh, nur die Schimpfworte. So eine nette senorina linda wie du? Nee, das willst du nicht. Du solltest lieber einen Kurs in der Uni machen, eh?«
»Ach, hau ab, du und dein burro, Raymond. In der Uni werde ich keinen Straßenjargon lernen. Was ist ein minga? Sag’ es mir.«
»Das kannst du dem Kontext entnehmen.«
Ich warf ihm einen vernichtenden Blick zu, und dann sagte er es mir: das einzig wichtige Teil der männlichen Anatomie, falls man eine männliche Anatomie hatte. »Ein Schwanz«, sagte ich und drehte mich dann instinktiv um, um zu sehen, ob die Kellnerin sich mit Kaffee näherte oder so — ich wollte niemanden kränken. »Ein Schwanz in einer anderen Sprache ist immer noch ein Schwanz. Ach übrigens, ich habe einen Bericht über die Kugel, die sie in Jerry Dwyers Körper gefunden haben, gesehen.« Ich hatte vergessen, es Joe zu sagen. Ich hatte es selbst vergessen — das war am Dienstag, dem Tag, an dem ich nach San Pedro gefahren war. »Sie haben Glaser benutzt. Wer hat schon Glaser außer der Kripo?«
»Ich habe ihn nicht erschossen.« Er sah aus wie ein kleiner Junge, und ich mußte lachen.
»Denk’ mal mit«, sagte ich. »Wer hat Glasermunition?«
»Deine Jungs, die Gewehre so lieben? Die Dug dales?«
»Ich weiß nicht. Svoboda sagte, einer von ihnen hätte einmal ein Messer benutzt, um einen Ladenbesitzer zu bedrohen. Gewehrfanatiker finden Messer normalerweise nicht so interessant. Ich habe schon einmal gesehen, wie sie eine Glaser demonstriert haben, aber ich habe selbst noch keine abgefeuert — die gab es erst, nachdem ich die Polizei verlassen hatte. Die und andere, diese Thunderzaps, die doppelt so schnell sind wie der Schall. Sie zerschmettern wie eine Splitterbombe.«
Er lächelte. Schön, kurz und besorgt.
»Das hat Jerry Dwyer umgebracht.« Ich hatte das Bild von Jerry vor Augen, nicht das, das Billy gemacht hat, sondern das Farbfoto meiner Erinnerung, das ich so schnell wie möglich aus meinem Kopf verbannte.
Raymond sagte: »Es ist wie bei Guccihandtaschen und wie heißen die Uhren?«
»Rolex?«
Er nickte. »Jeder muß eine haben, selbst wenn sie sie dir vom Handgelenk reißen müssen. Die reichen Typen tragen jetzt billige Imitationen, damit sie nicht beraubt werden. Kannst du das verstehen?«
»Es bricht mir das Herz.«
Er gabelte sich den letzten Toastkrümel von meinem Teller und höhlte dann noch einmal die Pampelmuse aus. Ich fragte ihn, ob er noch etwas bestellten wollte, aber er sagte nein, er sei auf Diät. Ich sagte: »Denk’ mal eine Minute darüber nach. Das erscheint mir mysteriös — ich bin nochmal beim Fall Dwyer. Der Zeuge — laß uns ihn >halben Zeugen< nennen — nebenan vom Tacostand sagt, daß die Verbrecher einige Zeit dort verbracht haben, warum? Wenn man jemanden berauben will, dann macht man das doch schnell, nicht wahr?«
»Sie könnten sich über etwas gestritten haben. Seine Freunde kommen herein, um ihn zu besuchen. Er sagt, >Hey, Typ, ich habe gestern gesehen, daß du mit meiner Freundin aus warst.< Sein Freund wird wütend, holt die — Was hast du gesagt, war es? Eine 22er? Halt die 22er aus seinem Hemd, wo er sie trägt, weil er so cool ist, aber sie geht los. Er wollte seinen Kumpel nicht erschießen, sondern nur warnen. Der zweite Kumpel gerät in Panik. Sie sitzen jetzt beide in der Scheiße und gehen ins Gefängnis, bis alle Wiederholungen von Star Trek fünfmal gelaufen sind. Sie sagen: »Los, schnapp’ dir das Bargeld, damit es so aussieht, als ob es ein Überfall gewesen ist.«
Ich seufzte. »Es kann alles mögliche gewesen sein, aber nicht das. Seine Freunde hätten nicht nochmal auf ihn geschossen, wenn es ein Unfall gewesen ist. Er war nur ein großer, starker Junge und seine Freunde waren das auch. Ich weiß das. Ich habe einige von ihnen kennengelernt. Sie kamen manchmal samstags zum Laden. Ich habe sogar durch Zufall mal mit ihnen gefeiert, bei Bobby McGee’s. Ich war dort mit jemandem verabredet, der mich versetzt hatte.«
Raymond sah mich verwundert an, grinste und wollte mich gerade etwas fragen.
»Na und?« sagte ich. »Das passiert eben. Ich traf Jerry, er stellte mich einem Haufen Freunde vor und wir haben ein bißchen getanzt. Sie haben die alte Dame sogar später zu einer Party eingeladen, aber ich bin nicht mitgegangen. Dieser Junge hat sich nicht mit irgendwelchen Idioten umgeben.«
»Jeder Mensch hat Feinde.«
»Nein«, sagte ich.
»Okay. Dann sind es
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