Blutorangen
Profis. So eine Art Profis. Sie haben sich den Laden eine Stunde lang angesehen. Sie haben beobachtet, wie er arbeitet, wieviel Geld er rausgibt.«
Ich schüttelte den Kopf, weil Raubüberfälle eine schnelle Angelegenheit sind. Rein und raus, das ist es.
Diese Unterhaltung brachte uns nicht weiter. Ich wollte Mr. Roland folgen, wollte irgend etwas tun. Ich schaute auf die Uhr. Fünfzehn Minuten bevor ich gehen mußte.
»Raymond?«
»Was?«
»Wir müssen gehen.«
»Was ist los?« sagte Ray.
»Oh, nichts, nur gibt es etwas, daß ich heute unbedingt noch erledigen muß.«
Und dann sagte er, als ob er meine Gedanken lesen könnte. »Ist noch nichts von den Fingerabdrücken zurückgekommen?«
Ich sagte: »Nichts, mit dem man etwas anfangen könnte.« Auf einmal fielen mir die Zeitschriften ein. »Ich frage mich, Ray, ob die Mörder, wenn sie eine Zeitlang da drin waren, nicht in den Zeitschriften mit vollbusigen Mädchen oder Autozeitschriften geblättert haben?«
Er nickte in Zustimmung.
»Wir können sie mit Laser untersuchen.«
»Wie funktioniert das eigentlich?«
»Vitamine und andere natürliche Substanzen, die man im Schweiß findet, leuchten im Licht. Normalerweise verliert man auf Papier das Furchendetail, besonders, wenn es feucht ist, aber an diesem Tag war es nicht feucht.«
Ray schaute eine Kellnerin an, die am anderen Ende des Raumes Kunden bediente, ihr kurzer Rock war hinten hochgezogen. Er sagte: »Wie konnte sie nur mit diesem Typ Weggehen?«
Ich dachte zuerst, er meinte die Kellnerin und schaute hin. Hinten, an einem Oberschenkel hatte sie vier kleine, runde, grünliche Flecken. Ich fragte mich, ob es Fingerabdrücke waren. Vielleicht war gestern jemand stürmisch geworden.
Er sagte: »Ich verstehe es einfach nicht.«
Ich rief Patricia an diesem Nachmittag im Büro an und sprach zehn Minuten mit ihr. Sie sagte immer wieder, daß sie ihren Kopf nicht verlieren würde, daß sie es langsam angehen lassen würde; daß ich — und Raymond, dessen Sache es sowieso nicht war — überreagieren würden. Gib dem Jungen eine Chance, sagte sie; nicht jeder macht beim ersten Mal alles richtig. Das sagte sie mir, nachdem sie mich mit Billy K. gesehen hat.
»Er bringt mich zum Lachen. Er ist sexy.«
»Oh, bitte.«
»Kennst du Jerry Reed?« fragte sie. »Er spielte in dem Film mit, wie heißt er noch, der Typ in dem Film, na, du weißt schon ... sie spielen in dem Film, wo sie die Polizeiwagen kaputtfahren. Ich weiß jetzt, der Typ in dem nassen Anzug in »Beim Sterben ist jeder der erste«?«
»Burt Reynolds.«
»Ja, er erinnert mich an ihn. Weißt du, ein lustiger Typ.«
Jetzt war Roland entweder Jerry Reed oder der Rifleman. Ich sagte: »Oh, der ist ganz lustig.«
»Ich bin schon mal mit jemandem zusammen gewesen, der vorbestraft war«, sagte sie oder besser flüsterte sie, weil sie im Büro war.
Das überraschte mich. Genauer gesagt: ich war schockiert. »Das hast du mir nie erzählt.«
»Und du hast mir nie gesagt, daß du mal Stripperin warst, oder?«
Ich schloß die Augen, und sagte nichts.
»Roland hat mir seine ganze Geschichte erzählt. Er sagte mir sogar, daß er letzte Woche verhaftet und befragt worden war. Das ist doch total ehrlich. Gott, kannst du das glauben?«
»Und was ist mit dem Zufall, daß er gerade nebenan eingezogen ist?«
»Ja, daß du und ich genau dort waren, ihn genau durch den Spiegel sehen konnten, und sechs Tage später ...«
Ja, ich konnte mir den Zufall vorstellen. Zufälle können tödlich sein. Darum geht es. Du bist zum Beispiel in dem Haus deiner Eltern, die im Urlaub sind, und ein Flugzeug fällt vom Himmel und genau auf ihr Haus und kein anderes; oder du bist gerade am Ort, wo ein verrückter Iraner sich entschließt, seinen Wagen in ein Haus zu fahren, und du hättest eigentlich am Tag vorher abreisen sollen. Oder etwas Naheliegendes; du befindest dich einfach in einem unbekannten Stadtteil, und plötzlich siehst du deinen Freund mit einer Frau Corn-Dogs essen, bei der du merkst, daß sie ihre Lippen zu gebrauchen weiß, und er fällt ihr fast in den Ausschnitt. Oder, du bemühst dich genau zu der Zeit um einen Job, wo gerade einer frei wird. Zufälle. Zufälle sind nicht immer schlecht. Das will ich gerne glauben. Zumindest meistens. Aber ich konnte mir nicht helfen, mich schuldig zu fühlen, weil die Dugdales vielleicht Patricias Autonummer bei der Kripo gesehen hatten.
»Ich habe ihm alles von dir erzählt. Er will dich kennenlernen.
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